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Das Geistliche Wort | 04.06.2015 | 08:40 Uhr

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Schweigen

Autorin: In den Rundfunkstudios ist dank der modernen Technik vieles möglich. Man kann Stimmen heller machen oder dunkler, Klänge verzerren und verändern oder Geräusche miteinander verweben, die ursprünglich gar nichts miteinander zu tun haben.

Aber eines geht nicht. Zu schweigen, einfach nur Stille zu halten. Ein Sturm des Protestes wäre garantiert, würde ein Sender das wagen. Denn alle, die das Radio anstellen, möchten etwas hören, entweder Musik oder Wortbeiträge.

Schweigen. Stille. Nein danke.

Guten Morgen! Aus Hattingen grüßt Sie Pfarrerin Antje Rösener. Ich leite das Evangelische Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe.

In den letzten Wochen habe ich zwei Mal geschwiegen. Zusammen mit anderen. Einmal kurz nach dem Flugzeugabsturz in Frankreich. Da gab es den landesweiten Aufruf, eine Minute lang still zu sein - im Gedenken an die 150 Opfer und deren Angehörige.

Wir haben das gemacht in unserer Teamsitzung. Saßen um den Tisch. Es war Ruhe. Ein jeder für sich mit seinen Gedanken und doch miteinander verbunden.

Andere haben in einer Zahnarztpraxis, in der Werkstatt, in der Schule, zuhause oder sogar im Auto geschwiegen. Sind an den Straßenrand gefahren und haben die Augen geschlossen.

Das zweite Mal war kurz danach. Zehn Minuten haben wir da geschwiegen. Mitten auf dem Untermarkt in unserer Stadt, an einem Samstag. Alte, Junge, Erwachsene und Kinder. Die evangelischen Gemeinden hatten dazu aufgerufen. Im Kreis standen wir, in der Mitte ein paar Kerzen, gelbe Rosen. Zehn Minuten Schweigen für 1500 Tote. Für 1500 Menschen, die eine Woche vorher noch voller Hoffnung, voller Leben waren. Für 1500 Menschen, die in der Woche zuvor im Mittelmeer an den Außengrenzen der EU ertrunken sind.

Zwei Ereignisse, die viele Fragen aufgeworfen haben. Über die viel geredet, geschrieben, diskutiert und debattiert wurde und wird. Wie gut, einfach mal ruhig zu sein. Lauschen, statt reden. In sich hinein horchen.

Alleine und doch miteinander.

Musik 1: "La moza donosa"

Autorin: Früher, als unsere Kinder kleiner waren und ich das Gefühl hatte, es ist immer laut und wuselig um mich herum, da bin ich einmal im Jahr für eine Woche auf eine Nordseeinsel gefahren. Ende Januar meist, wenn außer den Einheimischen kaum jemand auf der Insel war. Ich bin stundenlang am Meer entlang gelaufen, habe geschlafen und gelesen. Manchmal stellte ich abends fest, dass ich außer mit der Bedienung im Café den ganzen Tag mit niemandem gesprochen hatte.

Wohltuend war das, dieses Schweigen..., auch wenn mich eines erschreckte: Während ich da so schweigend am Meer herumlief, redete es unaufhörlich in mir. Unzählige Situationen der letzten Wochen waren auf einmal wieder da. Ich hörte so viele Stimmen, Ereignisse von früher drängten sich mir auf... unglaublich.

Da habe ich erst gemerkt, wie viel noch in mir wühlte, manchmal gar tobte, wie viel ich zu verarbeiten hatte, wie vieles noch nicht zur Ruhe gekommen war. Ich fing an, diejenigen zu verstehen, die das Schweigen meiden... manchmal nur unbewusst. Weil man einfach nicht weiß, was sich dann regt, was für Bilder und Erinnerungen kommen. Erst gegen Ende der Woche wurde es besser. Die Stimmen traten in den Hintergrund. Ich hatte auf einmal mehr Freude am Meer, am Toben der Wellen, den Farben des Himmels, den knirschenden Muscheln unter meinen Schuhen und dem glitzernden Sand.

Schweigen. Der dänische Religionsphilosoph und evangelische Theologe Sören Kierkegaard, hatte dazu eine ziemlich radikale Meinung:

Sprecher: Wenn ich Arzt wäre und mich einer fragte: ‚Was meinst du, muss getan werden?’, so würde ich antworten: „Das erste, was getan werden muss, und die unbedingte Voraussetzung dazu, dass überhaupt etwas getan werden kann, ist: „Schaffe Schweigen! Gebiete Schweigen! Gottes Wort kann ja nicht gehört werden, und wenn es mit Hilfe lärmender Mittel geräuschvoll hinausgerufen wird, damit man es auch im Getöse hören kann, so bleibt es nicht Gottes Wort. Schaffe Schweigen!“

Aus: Sören Kierkegaard, Zur Selbstprüfung der Gegenwart empfohlen, e-artnow 2014; ISBN 978-80-268-2027-.

Autorin: Kann ich da zustimmen? Ich bin mir nicht sicher. Klar, diese Welt ist voller Lärm, voller Geräusche, voller überflüssiger Worte auch und nicht selten sind wir daran beteiligt. Deswegen pilgern viele Menschen in die Klöster, zu Meditationswochenenden oder buddhistischen Schweigeritualen. Sie suchen Stille, Gelassenheit, Ruhe und Trost hinter dem Lärm des Alltags. Sie suchen vielleicht auch Gottes Stimme.

Ich selbst genieße es zum Beispiel immer, wenn wir im Gottesdienst am Ende eines Gebetes alle miteinander schweigen. Wenn es mucksmäuschenstill wird in der Kirche. Es ist ein großer Schatz, dass wir das noch können: Miteinander still sein. Dass wir das noch üben: In uns hinein lauschen.

Schweigen reinigt die Seele, so wie das Fasten den Körper. Allerdings: In der Bibel wird das Schweigen nicht zum Allheilmittel erklärt. Stattdessen heißt es:

Sprecher: Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.(...) Lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; (...) herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit. (Prediger 3,1 und 4-7)

Musik 2: Tzigane tango

Autorin: Alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Das ist was anderes als: "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" - dieses bekannte Sprichwort gibt es so oder ähnlich in vielen Sprachen dieser Welt: in Italienisch, Englisch, Arabisch, Türkisch oder Polnisch. Nicht immer ist es der Weisheit letzter Schluss. Schweigen kann gut sein, aber Stillschweigen, Totschweigen ist keine Lösung.

Es gibt Situationen im Leben, da ist Schweigen falsch. Da muss man seine Stimme erheben. Wenn Kollegen oder Mitschüler zu Unrecht niedergemacht werden zum Beispiel.

Gott sei Dank gibt es das immer wieder: Menschen sind so mutig, so wach, dass sie laut werden, dass sie ihre Stimme erheben gegen Unrecht.

Wenn wir selbst schlimme Dinge erlebt haben, wenn ein geliebter Mensch plötzlich gestorben ist oder wir Gewalt erlitten haben, dann ist Reden meist wie eine Erlösung. Viele tun sich schwer damit. Sie versuchen es über Jahre mit Schweigen bis das Fass irgendwann überläuft und sie merken: Ich werde die Geschichte nicht los. Nachts in meinen Träumen werde ich verfolgt von Bildern, ich habe seltsame Ängste, die immer wieder kehren.

Endlich darüber reden zu können - das ist dann ein riesengroßer Schritt nach vorne. Mit Schweigen allein können solche Erlebnisse nicht heilen.

Ein altes Gebet der Bibel, es ist mindestens 2000 Jahre alt, singt davon, wie bedrückend die Stille und wie beglückend Singen und Reden sein können.

Sprecher: Du hast (…) meine Klage verwandelt in einen Reigen,

du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen

und mich mit Freude gegürtet,

dass ich dir lobsinge und nicht stille werde. (…)

Mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit.

(Psalm 30,12-13)

Musik 3: "Bailecito"

Autorin: Was ist eigentlich, wenn Gott schweigt? Oder anders: Schweigt Gott nicht sowieso meistens oder gar immer?

Gott ist und bleibt unendlich schwer zu fassen. Denn tatsächlich, das würde ich auch sagen: Meistens fühlt es sich so an, als ob Gott schweigt.

Auf der anderen Seite sprechen viele von uns trotzdem zu ihm, laut oder leise, stammelnd oder wortgewandt, in Glück oder Not. Und manchmal, da fühlt es sich so an, als würden meine Worte gehört, als sei Gott nah, als hätte er mir tatsächlich sein Ohr geschenkt.

Der Gedanke, dass Gott schweigt, ist in der Bibel immer mit Angst, Not und Elend verbunden. Wenn Gott sich zurückzieht, wenn Gott unerreichbar ist in seinem Schweigen, dann geht es uns schlecht. Dann sind wir ganz unten. Wie tot. In der Unterwelt, im Reich des Todes, da ist nur noch Stille, Schweigen. - So stellten sich die Gläubigen vor 2000 Jahren, zur Zeit des Alten Testamentes, das vor. Hoffnung dagegen gibt es, so lange da jemand ist, an den ich mich wenden kann, der mir sein Ohr schenkt, der mich sieht. Solange ich eine Adresse habe für meine Gedanken, meine Bitten. Darin liegt vermutlich die Kraft des Gebetes, ganz unabhängig davon, ob Gott schweigt oder antwortet.

Manchmal sagen Menschen: "Sie war für mich wie ein Engel" oder: "Dem Himmel sei es gedankt." Auf einmal scheint es so, als ob - durch alles Schweigen hindurch - etwas aufblitzt von Gott, von himmlischer Kraft. In einem Menschen oder auch in einem Erlebnis, einem Gedanken, einem Gedicht oder in der Natur. Das ist dann wie eine Antwort auf quälende Fragen. Wie ein Ohr, das mich hört. Wie Rettung in der Not. Da leuchtet etwas auf von einer neuen, einer besseren Welt: In den Besatzungskräften auf Schiffen, die ihren Blick von Flüchtlingen in Seenot nicht abwenden. In den Menschen im reichen Europa, die neu nachzudenken beginnen, was jetzt zu tun ist. In Politikern, die sich nicht ausruhen auf Gesetzen, die heute nicht mehr tragen. In allem Gott, der hört, redet und Mut macht.

Musik 4: „Quemaste todo“

Autorin: Ich glaube, es ist kein Zufall, dass hier in Deutschland Menschen zunehmend die Ruhe, das Schweigen, die Stille suchen. Wir brauchen das Schweigen, um uns selbst näher zu kommen. Um zu hören auf das, was das Leben uns sagen will, was Gott sich von uns wünscht. Manchmal sind es Worte, die erlösen, die befreien, retten und helfen.

Manchmal sind es Taten, die erlösen, die befreien, retten und helfen.

Aber nicht selten ist es das Schweigen, das uns neue Wege weist. Zu einem achtsamen Umgang miteinander, einer besseren Welt. Im Schweigen finden wir die Gelassenheit, die uns morgen wieder mutig aufbrechen lässt.

Wir spüren darin, wie kostbar das Leben ist und was wir dazu beitragen können, es zu schützen.

Es verabschiedet sich von Ihnen, Pfarrerin Antje Rösener aus Hattingen.

Musik 4: "Quemaste todo"

Musikinformationen:

Musik 1:

CD-Name: Mi Buenos Aires Queridos

Titel: La moza donosa

Track-Nr:.03

Track-Länge: 3,27.

Melodie: Alberto Ginastero

Interpret: Daniel Barenboim, Rodolfo Mederos, Héctor Consolé

Verlag: Warner Music, Hamburg 1996

Label: TELDEC

LC-Nr.: 03706

Musik 2: (s.o. Musik 1)

Titel: Tzigane Tango

Track-Nr.: 05

Musik 3: (s.o. Musik 1)

Titel: Bailecito

Track-Nr.: 14

Musik 4:

CD-Name: Tango Negro Trio – No me Rompas Las Bolas

Titel: Quemaste todo

Track-Nr.: 08

Track-Länge: 2,20

Interpret: Tango Negro Trio

Melodie: Juan Carlos Caceres /Carlos Buschini

Label: FELMAY 2011

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