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Das Geistliche Wort | 27.12.2015 | 08:40 Uhr

Heilige Familie?

Guten Morgen!

Der Sonntag heute, direkt nach den beiden Weihnachtstagen, beschert uns in diesem Jahr ein erweitertes Wochenende: Die einen wird das freuen, weil dann zum Beispiel auch die Familienbesuche etwas entspannter sind. Die anderen werden stöhnen, denn für sie sind schon zwei Weihnachtstage zu viel und wenn die sich dann auch noch im Familienkreis abspielen, ist das eine harte Geduldsprobe und zerrt am Nervenkostüm. Ich kenne viele Familien, die jedes Jahr diese Weihnachtsfeiertage klar durchplanen: Besuch der Eltern an dem einen Tag, Besuch der Schwiegereltern an dem andern Tag. Diesmal gibt es also einen Tag mehr für alle diese Familienbesuche.

Und – als würde es genau passen: Dieser Sonntag nach Weihnachten heißt katholischerseits auch noch: „Fest der Heiligen Familie“. Klar: An Weihnachten wird „Familie“ groß geschrieben. Und es ist ja auch ein schönes Zeichen der Verbundenheit – wenn man nicht auch umgekehrt wüsste, wie anstrengend das sein kann, das Familienleben an Weihnachten: Da gibt es oft sehr hohe Erwartungen und Ideale bei allen Beteiligten. Und wenn die enttäuscht werden, dann kommt es nicht selten zu Konflikten und zum Streit. Also heißt Weihnachten in der Familie auch: Ich muss mich an diesen Tagen arrangieren, vor allem, wenn Familienkonstellationen kompliziert oder zerbrochen sind, wenn liebe Menschen fehlen, weil sie tot sind oder getrennt oder weit entfernt leben. Und daher bereitet einigen das allein schon Stress, jedes Jahr aufs Neue zu überlegen: Wer gehört denn eigentlich alles zum Kreis der Familie dazu und wer nicht? Auf wen muss ich Rücksicht nehmen und worüber spreche ich am besten gar nicht. Schöne Familienaussichten. Und dann noch dieser Feiertag von der „Heiligen Familie“.

Musik I

Wenn gerade an Weihnachten, dem Fest der Liebe und des Friedens, ein Feststreit ausbricht, zeigt sich einmal mehr, wie sehr Ideal und Wirklichkeit auseinander treten, vor allem, wenn es um das Zusammenleben in der Familie geht – aber nicht nur dort. Ich selber lebe in einem Kloster, und da gibt es Streit, wie in einer Familie eben auch – nicht nur an Weihnachten. Auch im Kloster gibt es oft zu hohe Erwartungen und Ideale an das Zusammenleben. Und die können nur enttäuscht werden.

Gerade die jungen Mitbrüder im Kloster müssen damit umgehen lernen. Und das heißt nicht: zynisch alle Erwartungen und Ideale aufgeben, sondern man muss vielmehr erkennen: Zum Zusammenleben gehören Enttäuschungen eben dazu und damit verbunden auch Streitigkeiten. Gut ist es, wenn darüber auch geredet wird, nachdem sich der Streit gelegt hat. Und wie in einer Familie gilt es dann, das zu sehen, was einen eint – trotz alledem und über den Konflikt hinaus. Darin besteht die Kunst des Zusammenlebens. Und ich weiß: Das ist nicht leicht. Und das ist weit weg von der „Heiligen Familie“!

Was ist dann aber noch „heilig“ an der Familie, wenn zur Wirklichkeit auch Scheitern und Streiten gehört? Und welche Konstellation des Zusammenlebens zählt, wenn die Kirche heute von Familie spricht? Fast zwei Jahre lang hat sich die katholische Kirche mit dem Thema Familie, ihrem Ideal und der Wirklichkeit befasst. Zweimal hatte Papst Franziskus die Bischöfe nach Rom zur Synode gerufen. Vorausgegangen war eine weltweite Umfrage zum Familienverständnis. Dabei hatte sich gezeigt: Es gibt eine große Kluft zwischen der offiziellen Lehre der Kirche über die christliche Familie und deren tatsächlicher Lebenswirklichkeit, angefangen von der Vorstellung über gelebte Sexualität bis hin zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Gerade in Deutschland hatten vielleicht einige Gläubige mehr erwartet: Die Synode hat das Zusammenleben in den Familien weltweit in den Blick genommen und das vor dem Hintergrund der Anforderungen der Moderne. Und dabei ist klar geworden, dass weltweit differenziert nach Lösungen für das Leben in und mit der Familie gesuchte werden muss, bei all den Krisen, die da sind.

Eigentlich ist das nichts Neues. Bereits im 19. Jahrhundert stellte die Kirche eine Krise des Familienlebens fest. Damals galt es, ähnlichen Herausforderungen zu begegnen: Ausgelöst durch Aufklärung und Industrialisierung drohte sich das traditionelle Familienbild aufzulösen. Die rasch wachsenden Städte zogen Handwerker und Arbeiter an und zerrissen damit ganze Familien oder entwurzelten sie aus ihrer ländlich-sozialen Umgebung. Als Reaktion entstanden religiöse Vereine, Bruderschaften und auch Ordensgemeinschaften, die sich unter den Schutz und das Patronat der Heiligen Familie von Nazareth stellten, also der Familie von Jesus mit seinen Eltern Maria und Josef. Sogar ein eigenes Fest der Heiligen Familie entstand am Ende des 19. Jahrhunderts, das schließlich 1920 für die ganze lateinische Kirche verbindlich eingeführt wurde. Und dieses Fest feiert die Kirche noch am heutigen Tag, das „Fest der Heiligen Familie“.

Musik II

Die Heilige Familie mit Josef, Maria und dem Jesuskind wurde im 19. Jahrhundert propagiert als Vorbild, Trugendideal und Fürsprecher bei Gott. Mich befremdet solch eine Funktionalisierung der Heiligen Familie mehr, als dass sie mich zur Frömmigkeit anregt. Ich muss nur einmal genauer die Konstellation betrachten von der Heiligen Familie, historisch und biblisch, dann kommen mir Zweifel an diesem idealtypischen Familienbild: Da ist eine sehr junge Frau – heute würde man von einer Jugendlichen sprechen –, die ein Kind zur Welt gebracht hat, das keinen leiblichen Vater hat. Dann ist da ein alter Mann, der eigentlich der Großvater des Kindes sein könnte, dem die Rolle des Nähr- und Adoptivvaters zugewiesen wird. Und da ist das Kind, das wohl als Einzelkind groß wird. In der Bibel wird nichts aus der Kindheit und Jugend dieses Jesus erzählt bis auf eine Begebenheit: Er sei als Zwölfjähriger drei Tage im Tempel geblieben, ohne seinen Eltern Bescheid gesagt zu haben. Kein Wunder, dass das für Unruhe in der Familie gesorgt hat. Und als Jesus dann noch erklärt, er habe im „Haus seines Vaters“ sein wollen, dann hat das die Eltern wohl eher verstört als beruhigt. (Vgl. Lk 2,41-52).

Bemerkenswert finde ich, dass die allermeisten dieser Aspekte aus dem Familienleben Jesu in den Hintergrund getreten sind. Sie passten offenbar nicht zu den Vorstellungen von den Familienidealen im 19. Jahrhundert, bei denen es um die propagierten Tugenden der Heiligen Familie ging: um Väterliche Fürsorge, Genügsamkeit, mütterliche Liebe und Zucht sowie kindlichen Gehorsam.

Kurz gesagt: Sogar in der sogenannten Heiligen Familie war das Familienleben wohl tatsächlich anders als man es sich im 19. Jahrhundert vorgestellt hat.

Aber gerade weil diese Familienkonstellation von Jesus, Maria und Josef alles andere als ideal zu sein scheint, ist sie vielleicht hilfreich für ein heutiges Verständnis von Familie. Immerhin – das zeigt ja die Umfrage unter den Katholiken im Vorfeld der Familiensynode: Heute gibt es zwar verschiedene Familienkonstellationen, die auch alles andere als ideal zu sein scheinen, aber es gibt ebenfalls die verbindenden Sehnsüchte vieler Menschen nach idealen Grundwerten wie Treue und Bindung, verantwortlicher Elternschaft und Wertschätzung des Lebens, Kinderfreundlichkeit und wechselseitiger Verantwortung. Vielleicht sollten einmal genau diese Sehnsüchte mehr in den Vordergrund gerückt werden als erstrebenswerte Tugenden und Ideale für ein familiäres Zusammenleben.

Musik III

Die Verehrung der Heiligen Familie reicht übrigens bis ins Hochmittelalter zurück. Und da gibt es ein Bildmotiv, das weit über den kleinen Kreis von Maria, Josef und dem Jesuskind hinaus reicht. Da tauchen dann seine Oma Anna auf und sein Opa Joachim, die in der Bibel gar nicht erwähnt werden, sondern in außerbiblischen Texten. Dann sind da seine Tanten und Onkel mit ihren Kindern, den späteren Aposteln, also Jesu Cousins: eine echte Großfamilie, ein Generationenbild mit der weiteren Verwandtschaft Jesu.

Unter diesem Motiv der erweiterten Verwandtschaft gibt es eine Darstellung, die mich besonders beeindruckt hat. Es ist ein altes Bild, etwa um 1520 gemalt, und zeigt ein anderes Ideal im Hinblick auf die Heilige Familie: Es geht bei diesem Bild um eine neue Definition der Familienzugehörigkeit zu Jesus, die bis heute gilt!

In einem hohen Raum sitzt Maria und reicht das Jesuskind ihrer Mutter Anna, also der Oma. Hinter ihr steht Josef, der aus dem Bild schaut und den Blick des Betrachters sucht – also meinen Blick, als ob ich dazu treten soll. Auf der gegenüberliegenden Seite von Josef steht Johannes der Evangelist und Apostel. Diesen Johannes wird Jesus später einmal vom Kreuz aus seiner Mutter als Sohn zuführen und umgekehrt Maria dem Johannes als seiner Mutter (vgl. Joh 19,26f): Eine echte Patchwork-Familie also. Und in dem Bild führt dieser Johannes jetzt dann noch die Stifter des Gemäldes Maria und Jesus zu, als ob sie auch zur Familie dazugehören.

Schließlich steht auf einem Balken über den Köpfen aller Anwesenden im Raum ein Vers, der diese Familienzusammenführung erklärt. Es ist ein Vers aus der Bibel und nennt die Kriterien für die wahre Familienzugehörigkeit zu Jesus (Lk 8,21): „Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln.“

Das ist echt was ganz anderes als Bluts- und Adoptivverwandtschaft, Kleinfamilie und Patchwork. Die Botschaft des Bildes ist klar: Zur Heiligen Familie gehören nicht nur Jesus, Maria und Josef, oder die Figuren auf dem Bild oder diejenigen, die das Bild anschauen. Über Bluts- und Adoptionsverhältnisse hinaus gehören alle zur Heiligen Familie, die sich vom Wort Gottes ansprechen und motivieren lassen. Anders formuliert: Wenn Menschen Treue und Bindung, verantwortliche Elternschaft und Wertschätzung des Lebens, Kinderfreundlichkeit und wechselseitige Verantwortung bejahen, ersehnen und, soweit es möglich ist, auch umsetzen, dann gehören sie bereits zur Heiligen Familie, dann sind sie heilige Familie! So einmal gesehen ist es um das Familienverständnis und das Familienleben in Zukunft eigentlich gar nicht so schlecht bestellt, es ist eben anders und weiter, als ich es mir vielleicht jetzt vorstellen kann.

Musik IV

Einen guten dritten Weihnachtstag heute, mit oder ohne erweitertem Familienbesuch.

Ihr Pater Philipp aus Duisburg

Bildrechte: web gallery of art

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