Aktuelles

Beiträge auf: wdr5 

katholisch

Das Geistliche Wort | 02.10.2016 | 08:35 Uhr

"Gott sei Dank" - Nur eine Floskel?

Sprecher:

Zuflucht noch hinter der Zuflucht

Für Peter Huchel

Hier tritt ungebeten nur der wind

durchs tor

Hier

ruft nur gott an

Unzählige leitungen läßt er legen

vom himmel zur erde

Vom Dach des leeren kuhstalls

aufs dach des leeren schafstalls

schrillt aus hölzerner rinne

der regenstrahl

Was machst du, fragt gott

Herr, sag ich, es

regnet, was

soll man tun

Und seine Antwort wächst

grün durch alle fenster

Mit einem Gedicht von Reiner Kunze heiße ich Sie herzlich an diesem Erntedank-Sonntag willkommen. Mir ist bewusst: Der Dichter hat keinen Besinnungstext zum heutigen Fest geschrieben. 1972 Er verarbeitet Reiner Kunze mit diesem seine Flucht vor der Stasi. Unterschlupf hatte er unter anderem im leer stehenden Häuschen einer sächsischen Bäuerin gefunden. Wer so haust, gerettet und doch völlig allein und mit bleibender Ungewissheit, wird besonders sensibel für jedes Geräusch. Wind und Regen fangen an zu sprechen. Doch was sie sagen, ist über kein Wörterbuch zu erschließen. Der Mensch selbst muss ohne Anhalt an Vorgaben die Botschaft sich zusammenreimen - falls er überhaupt eine Botschaft vernimmt. Regengeprassel und Windgeheule können ja auch ungedeutet bleiben. Vielleicht lösen sie nur ein Gefühl aus: Meine Frau zum Beispiel schläft bei Regen besonders gut und gerne; findet den Regen behaglich, während mich das Geräusch eher stört. Der Regen spricht keine eindeutige Sprache.

Musik I: aus: Frédéric Chopin, Prélude op. 28 Nr. 15 (Regentropfenprélude)

Von den Klängen des Regens und des Windes, in denen der Lyriker Reiner Kunze göttliche Sprache vernimmt, schwenke ich in eine gänzlich andere Welt - in die Welt derer, die auf Regen und günstige Winde angewiesen sind: Ich meine die Welt der Landwirtschaft. In ihr hat ja das Erntedankfest seine Wurzeln. Auch hier gab es einmal - vergleichbar mit dem Gedicht Reiner Kunzes - so etwas wie eine Mischung aus Ergriffenheit und Dankbarkeit angesichts des Zusammenspiels der Naturkräfte: Ernte als Geschenk Gottes, dem man letztlich die Früchte des Zusammenspiels verdankt.

Das Fest gibt es immer noch. Aber die Zeiten haben sich geändert. Davon konnte ich selbst einen Eindruck gewinnen, als ich im letzten Jahr meine Frau zu einem Kongress begleiteten durfte. Sie arbeitet im Bereich der Fortbildung von Landwirten. Dies erlaubte mir, als Theologe einmal über den Tellerrand des eigenen Fachgebiets hinauszuschauen. Auf dem Kongress stellte der Vertreter einer großen deutschen Firma die neuesten Trends für Ackerbaumaschinen vor. Sie erlauben die raffiniertesten Voreinstellungen, ermöglichen ein Optimum an Streckenführung und sichern ein Maximum an Ausnutzung der vorhandenen Hardware-Technik. Woran man als Außenstehender gar nicht denkt: Diese Maschinen werden im Grunde nur an ganz wenigen Tagen im Jahr gebraucht, eben zur Erntezeit. Dann aber muss alles reibungslos funktionieren. Je schneller die Arbeit erledigt ist, desto mehr Landwirte können sich die Fahrzeuge in derselben knappen Erntezeit teilen. Das ist von großem Vorteil; denn für den einzelnen Bauern sind die Maschinen oft viel zu teuer.

Seit diesem Kongress mache ich mir nichts mehr vor: Der gemeine Landwirst lauscht nicht sensibel auf Regen und Wind. Er ist genauso computerisiert und technisiert wie ich Großstädter. Vieles ist machbar geworden, von dem früher die Menschheit nicht einmal träumte.

Damit ist Ernte nicht mehr die Sache Gottes, sondern eines hochtechnisierten Maschinenparks, ausgetüftelter Düngemittel, immer wieder neuer Artenzüchtungen und was sonst noch dazu gehören mag. Erntedank heißt jetzt: Den Menschen und ihrem Erfindungsgeist sei Dank!

Musik II: aus: Frédéric Chopin, Polonaise As-Dur op. 53 (héroïque)

Auch wenn in der Landwirtschaft alles technisierter und computerisierter wird - das Erntedankfest ist noch nicht ausgestorben. Auf dem Land ist die Tradition in der Regel kräftiger vertreten als in den Städten. Aber mir schwant, das hat mehr mit dem Hang zu Folklore zu tun und denselben Gefühlen, warum auch Städter das „Landlust-Magazin“ kaufen, als mit dem tiefer gehenden Gefühl, Gott .etwas zu verdanken.

Was soll man Gott danken, wo Menschen die maßgeblichen Bedingungen schaffen? Vielleicht hört der Lyriker Reiner Kunze in seinem ländlichen Unterschlupf bei Regen und Wind nur jemanden raunen, der sich schon lange erübrigt hat.

Erinnern Sie sich noch an den Schluss seines Gedichts?:

Herr, sag ich, es

regnet, was

soll man tun

Und seine Antwort wächst

grün durch alle fenster

Hier möchte ich fast anschließen: "Gott sei Dank!" Reiner Kunze würde sich hüten, dies hinzuschreiben, aber so wenig er die Vokabeln Gott und Herr vermeidet, so sehr lässt er ein still mitgedachtes "Gott sei Dank " zu.

Doch gerade dieser kurze Zwischenruf, dieses Gebet aus drei Wörtern, das auch als Zusammenfassung des Erntedankfestes gelten könnte, ist als ernst gemeinter Dank an Gott eher aus der Mode gekommen. Wer nach der Wendung "Gott sei Dank" googelt, stößt neben einem Markennameneintrag für Modeartikel vor allem auf Einträge zur Rechtschreibung. Die Frage ist weniger, was die Worte bedeuten, als: Wie schreibt man sie richtig?. Das Kurzgebet ist zur Floskel geworden, die auch demjenigen aus dem Mund rutschen kann, der mit Gott längst nichts mehr am Hut hat. Frei nach dem Kalauer : "Gott sei Dank glaube ich nicht mehr an Gott."

Wahrscheinlich ist es schwierig, die altgewohnte Wendung durch andere, gleichermaßen prägnante Worte zu ersetzen. Die Internetseite "ein anderes Wort" bietet neben "gottlob" noch an: "dem Himmel sei Dank" - was allerdings eher wie eine Verlegenheitslösung klingt: Man meint Gott, sagt aber verunklarend: Himmel. Sodann stehen noch im Angebot: "erfreulicherweise", "glücklicherweise", und "zum Glück". Der Blick schweift vom Urheber zum Ergebnis, das erfreulich bzw. beglückend ist - falls die Rede vom Glück nicht den unberechenbaren Zufall meint, der das Ergebnis zustande gebracht hat.

Wie auch immer: Mir scheint, die Ersatzformulierungen wollen nicht nur die Rede von Gott vermeiden, sondern auch den Dank.. Ein ernst gemeintes "Gott sei Dank" würde ein Gefühl von Angewiesenheit, Abhängigkeit und Unverfügbarkeit ausdrücken. Genau dies widerspricht aber dem Bild, das wir am liebsten von uns selbst haben und das sich verbindet mit Leistung, Machbarkeit, Stärke und Kaufkraft. Wachstum als Ergebnis der produktiven Kraft des Menschen ist ein immer wieder beschworener neuer Gott unserer Aber dieser Glaube ans Wachstum, ist enorm erschütterlich. Das Wachstum kennt immer wieder Rückschläge oder funktioniert eben nicht immer wie gedacht. Noch erschütternder sind allerdings die Katastrophen, die durch unbezwingbare Naturgewalten ausgelöst werden. Denn sie konfrontieren den Menschen auf einmal doch mit der so gerne verdrängten Abhängigkeit von anderen Mächten. Plötzlich erfährt die Menschheit - und jedes Mal, als wär's zum ersten Mal -, dass nicht alles einfachhin verfügbar und steuerbar ist. Bei uns sind es eher Stürme und Wassermassen, die der Machbarkeit Vernichtung und Zerstörung entgegensetzen. Andere Kontinente kennen die gegenteilige Katastrophe der nicht enden wollenden Dürre. Es beginnt mit dem Monate oder gar Jahre ausbleibenden Regen. Die Folge: Kein Wasser, keine Ernte, keine Nahrung, Hunger und Durst, Tote in unüberschaubarer Zahl vom Kleinkind bis zu den Alten, Krankheiten, Flucht in die Fremde und immer so weiter.

Keine Sorge, es folgt jetzt nicht der kirchlich so gerne bemühte Satz: Not lehrt beten. Er ist auch nicht übermäßig weise. Denn dieses Beten endet meistens im Augenblick, wenn auch die Not endet. Aber für einen Augenblick einmal nicht zu verdrängen, dass wir allem Anschein und allem inneren Willen zum Trotz doch nicht alles uns selbst verdanken, erlaubt vielleicht einen Perspektivenwechsel und eine Horizonterweiterung.

Musik III: aus: Robert Schumann, Von fremden Ländern und Menschen op. 15 Nr. 1

Naturkatastrophen machen nicht unbedingt fromm, besonders nicht, wenn man selbst zu den Opfern zählt. Aber sie als Teil dieser Welt wirklich wahrzunehmen und nicht auszublenden und zu verdrängen, eröffnet besonders dann neue Sichtweisen , wenn man nicht direkt betroffen ist. Regenmangel wie Überschwemmung zeigen, wie wenig selbstverständlich das ist; wie wenig selbstverständlich es ist, wieder einmal davon gekommen zu sein und zu essen und zu trinken zu haben. Denn was auf dem Tisch steht, kommt zuerst eben weder aus dem Einkaufsladen noch aus der menschlichen Arbeit, sondern im Letzten aus fruchtbarer Erde, gewässert von Regen und begünstigt von entsprechender Witterung. Es ist jedem unbenommen, diese Gegebenheiten ohne jeden religiösen Hintergedanken als "glücklich" und "erfreulich" hinzunehmen, ebenso wie die Tatsache des Lebens, das zwar mittlerweile geklont und genetisch verändert, aber eben doch nicht geschaffen werden kann.

Es eröffnet sich aber auch die Möglichkeit, ahnungsvoll und dankbar darauf zu schauen, dass wir Leben und Lebensnotwendiges vorfinden, noch ehe wir irgendeinen Handschlag getan haben. Es könnte doch sein, dass wir nicht nur in zufälligem Glück leben, sondern uns dem verdanken, den Reiner Kunze in seinem Gedicht durch Wind und Regen vernimmt. Kuh- und Schafstall sind leer, aber er selbst lebt, als Geretteter, und sieht ins Grüne - die Farbe der Hoffnung und des Lebens. Das uralte Motiv der Frage Gottes an den Menschen taucht auf: "Adam, wo bist du?" Bei Kunze fragt die Stimme den zur Untätigkeit Verdammten: "Was tust du?" Im Bekennen, dass es gerade, außer Regen und Wind mit ihrem schrillen Ton zu hören, nichts zu tun gibt, erfährt Kunze sich als einer, dem Antwort zuteil wurde - eine Antwort, die alles andere als selbstverständlich ist - ja, die auch ausbleiben kann. Doch für diesen furchtbaren Augenblick stärkt man sich am besten, wenn man nicht erst dann zu fragen beginnt, wenn die Katastrophe kommt, sondern wenn man in den vorangehenden Zeiten das nicht selbstverständliche Gute bewusst wahrnimmt. Wer lernt, es als Antwort zu verstehen von dem her, den wir nach den Worten Jesu Vater nennen dürfen, wird irgendwann zu dem Dreiwortgebet gelangen, das dann eben keine Floskel ist: "Gott sei Dank."

Solch eine Sichtweise und Haltung einzuüben, ermutigt das jährliche Erntedankfest der katholischen Kirche. Es könnte seine Entsprechung in einem täglichen Erntedank finden. Vielleicht versuchen Sie es heute an diesem Sonntag vor dem Mittagessen einmal mit diesen drei Worten: "Gott sei Dank!"

Musik IV: Peteris Vasks, Jahreszeiten: Herbst

(In die Musik hinein)

In diesem Sinne wünscht Ihnen einen gesegneten Erntedanksonntag Gunther Fleischer von der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule aus Köln.

evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
katholisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen
evangelisch
Abspielen