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Das Geistliche Wort | 14.04.2017 | 08:35 Uhr

„Kreuz auf der Halde“ – zum Karfreitag im Ruhrgebiet

Guten Morgen!

Gleich, wie an jedem Karfreitag der letzten Jahre, werde ich zusammen mit mehreren Tausend Menschen die Halde des Bergwerks Prosper Haniel in Bottrop nach oben gehen. Die Halde ist weithin sichtbar. Sie ist ein künstlicher Berg, aufgeschüttet aus dem Material, das bei der Kohleförderung aus dem Erdinneren ausgegraben wurde, bevor man die Kohle unter Tage erreichte. Seit Jahren ist die Halde Bestandteil eines Naherholungsgebietes im Ruhrgebiet, denn Kohle wird hier kaum noch gefördert.

Das besondere an der Halde in Bottrop ist: Der Weg hinauf ist mit einem Kreuzweg gestaltet, und diesen Kreuzweg gehe ich gleich, begleitet von Priestern und vielen Gemeindemitgliedern: Junge und Alte, Kinder und Jugendliche, solche, die der Kirche nahestehen, und solche, die einen besonderen Akzent für den heutige Karfreitag setzen. Das Gehen des Kreuzweges ist eine alte Gebetsform der katholischen Kirche. Der Kreuzweg erinnert in vierzehn Stationen an den Leidensweg Jesu. Seit gut 20 Jahren gehen Menschen gemeinsam den Kreuzweg am Karfreitag auf die Halde, bei fast jedem Wind und Wetter singend und betend, begleitet von den Fahnen der Verbände, den Messdienerinnen und Messdienern, von Kommunionkindern, manchmal bei großer Hitze schwitzend, manchmal durchnässt und klatschnass vom Regen und vom Wind. Gut zwei Stunden dauert der Aufstieg. Oben angekommen, gibt es dann einen gemeinsamen Gottesdienst, an dem auch viele Ältere und Alte und solche teilnehmen, die den Weg zu Fuß nicht mehr schaffen und per PKW hierher gebracht worden sind.

Der Ausblick von dort oben ist grandios. Es ist ein Blick auf das Ruhrgebiet: auf die Zeche Prosper Haniel, Bergehalden, Stadtteile mit ihren für das Ruhrgebiet typischen Wohnhäusern, zu sehen ist auch das Stadion von Schalke, bei guter Sicht in weiter Ferne Stahlwerke, die ebenso zu unserer Region gehören, viele Kirchtürme und manch wichtiges Gebäude der Städte drumherum. „So ist Kirche“, denke ich immer, wenn ich dort oben stehe: mitten im Leben, bei vielen Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, mitten in einer Region von großen Veränderungen, Umbrüchen, Abbrüchen und Aufbrüchen.

Und mitten dazwischen wir Christen.

Musik I

Der Kreuzweg auf die Halde hinauf mit den 14 Stationen hat eine besondere Gestalt. Er verbindet Volksfrömmigkeit mit Brauchtum und Zeichen der Welt des Bergbaus, konkret: die Arbeitswelt der Bergleute. Diese enge Verbindung von Lebens- und Arbeitswelt hat bereits Papst Johannes Paul II. Anfang Mai 1987 deutlich gemacht, bei seinem Besuch hier im Revier. Er betonte damals: Der Wert der Arbeit ist ein unverzichtbarer Bestandteil der menschlichen Würde. Außerdem: Arbeit verbindet Menschen, ob als Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Ausbilder und Auftraggeber für Unternehmen. Und schließlich: Arbeit ist wichtig für die Wertschöpfung in der Region.

Heute stelle ich mit vielen Menschen im Ruhrgebiet fest: Seit Langem hat das Ruhrgebiet ein tiefer Strukturwandel erfasst. Er ist überall mit Händen zu greifen. Christen und Kirchen begleiten und gestalten diesen Wandel aktiv mit. Deutlich wird das für mich in den 14 Kreuzwegstationen, die Elemente der Arbeitswelt des Bergbaus verbinden mit den existentiellen Erfahrungen Jesu auf seinem Weg auf den Berg Golgatha zu seiner Hinrichtung. Die Kreuzwegstationen sind Symbol für diese vor Ort lebendigen Beziehungen zwischen Arbeit, Kirche und Umwelt hier im Ruhrgebiet.

Die Ordensfrau und Künstlerin Sr. Paula, Tisa von der Schulenburg, hat die jeweiligen Kreuzwegstationen eindrücklich gestaltet, und zwar als Graphiken. Angeregt durch ihre Begegnungen mit den Bergleuten Englands und des Ruhrgebiets hat Sr. Paula in ihrem künstlerischen Schaffen deren Arbeits- und Lebenswelt, wie auch die Not der leidenden Menschen bereits oft dargestellt. 1995 wurde der Kreuzweg eingeweiht vom früheren Essener Bischof Hubert Luthe; seitdem wird am Karfreitag jedes Jahr hier die Halde hinauf der Kreuzweg gegangen. Jede Station zeigt ein Förderturmmodell als Steele, in dessen oberen Teil eine Grafik der Künstlerin zur jeweiligen Kreuzwegstation eingelassen ist. Neben dem Förderturmmodell, das den Bergbau im Ruhrgebiet symbolisiert, steht noch ein echtes Element aus der Arbeitswelt des Bergbaus. Eine Kupfertafel erläutert schließlich mit einem kurzen Text den Zusammenhang zwischen religiösem Inhalt, der Arbeit und dem Alltag. Denn darum geht es der Künstlerin, zu zeigen: Zum Leben gehören Arbeit und Gebet, Wochentage und Sonntage, besondere Zeiten für den Glauben und das normale Leben des Alltags.

Musik II

Der Kreuzweg von Sr. Tisa von der Schulenburg auf der Halde von Prosper Haniel in Bottrop zeigt den Zusammenhang von Leben und Glauben, Arbeit und Religion. So zeigt die zweite Station des Kreuzweges zum Beispiel, wie Jesus sein Kreuz auf sich nimmt. Das gilt auch heute: Wie Jesus selber, mit Mut und Glauben, sein schweres Los auf sich zu nehmen, um beherzt das zu tragen, was Arbeit und Alltag an Härten und Beschwerden auferlegen. Darum steht ein so genannter Bergekasten an dieser zweiten Station. Wie das Kreuz Jesu besteht solch ein Bergekasten aus übereinander geschichteten Holzbalken und trägt die Last der Gesteinsmassen über dem Stollen, in dem der Bergmann arbeitet, um ihm Sicherheit bei seiner Arbeit zu gewähren

Bei der vierten Kreuzwegstation begegnet Jesus seiner Mutter. Verzweiflung und Hoffnung treffen hier aufeinander. Diese Begegnung ist geprägt von einander erwiesener Zuneigung und nüchternem Realismus, das Unausweichliche anzunehmen. Wie Maria und Jesus brauchen viele Menschen die Kraft solcher Begegnungen, um ihre Lebensaufgaben zu erfüllen. Das Symbol für solche Kraft ist ein gleisgebundener Transportwagen für Kohle und andere im Bergbau zu transportierende Güter neben dieser Station. Er erinnert daran, wie viel Kraft, Hoffnung und Energie für das normale Leben notwendig sind, auch wenn die Lage eher zum Verzweifeln ist.

Bei der neunten Station fällt Jesus zum dritten Mal unter seinem schweren Kreuz, obwohl zuvor Simon von Cyrene zu Hilfe kam und Veronika Jesus das Schweißtuch reichte. Jesus fehlt nun die Kraft, die Last des Kreuzes zu tragen und zu ertragen. Neben dieser Station steht ein Förderkorb, der im Schacht zur Auf- und Abwärtsbeförderung der Bergleute, der Kohle und der Materialien dient. Mich erinnert es daran, dass jeder Mensch andere Menschen benötig, um das Auf und Ab im Alltag bewältigen zu können. Jeder braucht Halt im Leben, damit er nicht ins Leere fällt. Jeder braucht Beistand, Zuwendung und direkte Hilfe.

Musik III

Oben auf der Halde des Bergwerks Prosper Haniel in Bottrop steht ein riesiges Kreuz. Das Kreuz ist der Ort des Todes Jesu. In der Bibel sind einige Worte des sterbenden Jesus am Kreuz überliefert: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ „Es ist vollbracht.“ „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Das sind Worte, die zeigen: Jesus ringt mit seinem Schicksal. Anders formuliert: Es gibt keine einfache Antwort auf das eigene Lebenskreuz, das dem Menschen zugemutet wird. Das Kreuz Jesu steht aber auch für das, was Christen glauben. Das Wesentliche im Leben kommt nämlich von Gott, gerade auch die Kraft, das Schwere zu tragen und zu ertragen. Dahinter steht die Überzeugung: Ich werde im Leiden noch geführt. Dies zeigt sich für mich in dem riesigen Kreuz auf der Halde, das aus Spurlatten gebildet ist. Spurlatten dienen zur Führung des Förderkorbes im Schacht. Christen sind der Überzeugung: Auf der Suche nach der Wahrheit und der Mitte des Lebens ist das Kreuz Führung und Orientierung.

Bei der vierzehnten Station wird Jesus ins Grab gelegt. Der Leidensweg Jesu ist zu Ende, so qualvoll, schwer und lang er auch war. Ich frage mich: Wie viele Menschen erleben nicht ähnliche Kreuzwege mit ihren Auf- und Abstiegen, den Krankheiten, der Erwerbslosigkeit, der Trauer um nahe Menschen, die gestorben sind. Wie viel an Not, Sterben und Tod erleben die, die zu allen Zeiten aus ihrer Heimat fliehen, die von Bürgerkriegen heimgesucht, von Verfolgung wegen ihres Glaubens terrorisiert und um ihre Würde und Lebensmöglichkeiten gebracht werden? Nicht zu vergessen sind die, die still leiden und in ihren vier Wänden Zuhause Leid ertragen. Wer gibt diesen Menschen Schutz und Sicherheit? Neben dieser Station auf der Halde steht ein Schildausbau aus dem Bergwerk. Wie der Name sagt, baut ein Schild im Streb den Bergleuten einen Ort aus, der die nötige Sicherheit vor herabstürzenden Steinmassen garantiert. Natürlich weiß jeder Bergmann und weiß auch ich: Letzte Sicherheit im Leben gibt es nicht. Darum findet sich hier neben dem Schildausbau eine starke Mahnung: Gedenke Deines Sterbens und Deines Todes!

Musik IV

Gleich, um 9:30 Uhr werde ich wieder mit vielen anderen Menschen den Kreuzweg in Bottrop auf die Halde gehen. In diesem Jahr, dem Gedenkjahr zur Reformation denke ich besonders an alle Christen und damit besonders an die gemeinsame ökumenische Verantwortung und an die wachsende Einheit, die wir Christen brauchen und die Gott von uns will. Auf dem Weg werde ich für die vielen Opfer beten, die die Zerstrittenheit unter uns Christen so viele Jahrhunderte hervorgebracht hat und manchmal immer noch hervorbringt. Ich denke an das Kreuz Christi, das uns verbindet und nicht trennen darf. Ich habe die Botschaft Jesu im Kopf, der uns frei gemacht hat und uns nicht bloß auf uns selbst schauen lässt. Er ist die Mitte der Kirche. Der Glaube an ihn eint uns mehr als das, was uns trennt. Das Zeichen dieses verbindenden Glaubens ist das Kreuz. Es steht dabei besonders für Vergebung und Versöhnung, für Frieden und Einheit, die nicht aus uns kommen, sondern von Gott.

Über die Ökumene hinaus werde ich beim Haldenkreuzweg auch nicht die vielen Menschen anderen Glaubens und anderer Religionen vergessen, vor allem die Muslime, die im Ruhrgebiet leben. Der gemeinsame Wille zur Einheit und zum Frieden muss uns alle doch zusammen binden! Schließlich wird zu meinem Beten auch das Gedenken für die vielen gehören, die andere Lebenswege gehen, die keiner Religion und Glaubensgemeinschaft angehören, die selbstverständlich ein sehr sittlich verantwortetes Leben führen und mit denen wir gemeinsam unsere Gesellschaft gestalten.

Meine Überzeugung dabei ist: Zur Faszination Jesu gehört, dass seine Botschaft das Herz jedes Menschen treffen kann. Das gilt besonders, wenn es um Leid, Not und Tod geht. Bei seinem Besuch in unserer Region 1987 ging es Papst Johannes Paul II. um eine eindeutige Botschaft: um Solidarität, Lebenskraft und Zukunft. Dafür steht christlicher Glaube im Alltag. In dieser Gesinnung nehme ich Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, und unzählige andere gleich mit im Gebet, wenn ich, wie in jedem Jahr, mit vielen den Kreuzweg bete, hinauf auf die Halde Prosper Haniel in Bottrop.

Es grüßt Sie Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen

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