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Das Geistliche Wort | 02.10.2022 | 08:40 Uhr
Von Engeln und Menschen
Musik1: Aventure (Mulo Francel)
Jetzt ist mir die Einleitung doch fast zu einer Lobeshymne auf eine großartige Sportlerin geraten. Dabei wollte ich mich doch nur vorsichtig dem Thema „Engel“ nähern. Denn das ist gerade „dran“ in der katholischen Kirche. Nachdem sie schon am 29. September das Fest der Erzengel Michael, Gabriel und Rafael begangen hat, gedenkt sie am 2. Oktober der heiligen Schutzengel. Ich weiß natürlich nicht, wieweit für Sie, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, dieses Thema „dran“ ist; ob Sie damit etwas anfangen können oder wollen. Die Kirche fragt nicht nach Aktualität und Konjunktur, sondern feiert munter drauf los. Alle Jahre wieder! Was ich im Prinzip richtig finde! Aber für mich nehme ich das auch immer wieder zum Anlass, über meine Position zu einem Fest oder zu einer Heiligengestalt nachzudenken. Nicht nur, wenn ich ein „Geistliches Wort“ vorzubereiten habe.
Musik 2
Fast 70 Jahre schon sind die Engel Thema in meinem Leben. Und das durchaus wechselvoll. Nach der Zeit des fraglosen Kinderglaubens an Schutzengel im allgemeinen und sogar im ganz persönlichen kam mit dem Erwachsenwerden und dem Theologiestudium doch eine gehörige Skepsis auf: „Schutzengel“ gehörten in den Bereich der Kinderglaubensmärchen wie Christkind und Weihnachtsmann, und die Engel insgesamt passten für mich nicht zu einem aufgeklärten, rational verantworteten Glauben und gehörten eher ins Kuriositätenkabinett, in den Bereich der Folklore und der Volksfrömmigkeit. Ich hatte keinen Zugang mehr zu diesem Thema und brauchte ihn auch nicht. Wenn ich als junger Dozent oder Referent in den 80er und 90er Jahren in dieser Richtung angefragt wurde, habe ich geradezu entrüstet abgelehnt. Und ich wurde häufig gefragt, denn damals waren „die Engel“ plötzlich in Mode. Aber ich habe mich dem Trend kühl verweigert.
In den letzten rund zwanzig Jahren hat sich dann meine Haltung verändert, verschoben zumindest. „Schuld“ wie häufig bei mir ist die intensive Auseinandersetzung mit einigen großartigen Werken der Kunst. Ich bin schließlich Theologe und Kunsthistoriker. Und wie so oft erweist sich auch hier die Begegnung mit den Kunstwerken theologisch als besonders fruchtbar.
Musik 3 Angels (Robbie Williams)
Eines der besonders anregenden Bilder stammt von meinem Lieblingsmaler Rembrandt. In Berlin, in der großen Gemäldegalerie der Sammlung Preußischer Kulturbesitz können Sie es bewundern; „Jakobs Kampf mit dem Engel“ ist es betitelt.
Das ist die schöne Geschichte aus dem 32. Kapitel der Genesis, die sich in der Nacht vor der Wiederbegegnung des Patriarchen mit seinem Bruder Esau abspielt. Den hat Jakob Jahrzehnte zuvor schamlos ausgetrickst; und deswegen hat er jetzt vor diesem Treffen einen Mordsbammel (Das dürfen Sie sich merken: Gerade wenn Menschen die Hose voll haben, geraten sie in die Nähe Gottes.). Ja, und in dieser Situation muss – wie jedes Kind weiß – Jakob mit dem Engel kämpfen. Mit dem Engel? Interessanterweise ist nirgendwo in dieser Geschichte von einem „Engel“ die Rede: „Da rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg“, heißt es in der Bibel. Aber alle Welt spricht von einem Engel. Und so haben es die Künstler, so hat es auch Rembrandt gemalt. Weniger als einen Kampf, ein Ringen als eine zärtliche Umarmung, als ein Gehalten- und Getragenwerden. Rembrandt malt Jakob mit geschlossenen Augen. Das macht er gerne, wenn es um Gotteserfahrungen geht. Denn für Jakob ist dieser Kampf genau das; am Ende der Geschichte heißt es: „Jakob gab dem Ort den Namen Penuel (Gottesgesicht) und sagte: Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen“. Kurz und gut: Die biblische Geschichte und Rembrandts Bild erzählen von einer besonderen Lebens- und Alltagserfahrung. Ein Ringen, eine Krise, aus der der Mensch als ein anderer herauskommt. Jakob deutet das für sich als Gotteserfahrung; aber in der Überlieferung, in der diese alte Geschichte immer wieder neu erzählt wird – auch durch die Künstler – wird aus dem Mann, mit dem Jakob ringt, ein Engel.
Und das ist für mich die Quintessenz, die ich hier und anderswo gelernt habe, die Einsicht, die mir den Zugang zu den Engeln erschloss: Von Engeln zu reden, ist eine Art, von Gott zu reden. Und wie ich meine sogar eine besonders gute. Eine, wo Gott im ganz alltäglichen Leben vorkommen kann. Nicht nur in der Kirche und im Religionsunterricht, im Gebet und im Gottesdienst. Nein, Spuren und Zeichen, Erfahrungen und Erlebnisse, die etwas ahnen lassen von Gottes Nähe und Gottes Güte lassen sich so zur Sprache bringen. Da dann von „Engeln“ zu reden, hat einen enormen – wie ich meine auch theologisch bedenkenswerten - Vorteil: Das ist eine verhaltene Rede, die den Mund nicht ganz so voll nimmt. Eine indirekte Rede. Ein offenes Sprechen, das Raum lässt für das Geheimnis, auch für die Vieldeutigkeit und den Zweifel. Wenn Menschen lieber „Engel“ sagen, statt gleich von „Gott“ und seinem Wirken zu sprechen, dann ist das eine Diskretion, die für mich viel mit dem biblischen Gebot zu tun hat: „Du sollst Dir von Gott kein Bild machen“. Dieses sogenannte „Gottesbildverbot“ will ja den Menschen mahnen: Mach es dir nicht zu einfach mit dem Reden von Gott. Denn Gott, dessen Nähe und Freundlichkeit wir spüren können und an dessen Liebe wir glauben, ist ja zugleich auch ganz weit weg, verborgen und unbegreiflich. Weil dies so schwer zugleich auszudrücken ist, die Nähe und die Ferne, die Sichtbarkeit und die Verborgenheit, ist es gut zu sagen: Das war ein Engel. Wer von Engeln redet, baut sich und anderen eine Brücke zwischen den Menschen und Gott, zwischen der Welt Gottes und unserer Welt.
Musik 4
Die Bilder der Kunst haben mich also angestiftet, anders und wertschätzend über die Engel und das Reden von Engeln zu denken. Und natürlich habe ich inzwischen auch ganz häufig Vorträge zum Thema „Engel“ gehalten, sie wurden fast sowas wie ein Lieblingsthema. Gegenüber meinen Zuhörerinnen und Zuhörern habe ich aus meiner Zuneigung kein Hehl gemacht. Gar nicht so selten wurde ich deshalb am Ende gefragt: Sagen Sie mal, Herr Fendrich, haben Sie auch einen Lieblingsengel?“ Die Frage brachte ich mich ganz schön in Verlegenheit. Ich muss gestehen, dass inzwischen eine ganze Reihe von Engelbildern in meiner Hitliste ganz vorne stehen.
Aber einer ragt für mich doch ein kleines Stück heraus. Weil er für mich eine grundsätzliche Bedeutung hat. Für den Glauben. Für meinen Glauben. Oder auch dafür, wie „Engel“ – also „Boten“ ihre Botschaft in die Welt, zu den Menschen bringen könnten. So, dass man ihnen ansieht: es ist eine frohe Botschaft. Mein Lieblingsengel ist nämlich ein lachender Engel.
Er lächelt seit
vielen hundert Jahren an der Kathedrale von Reims, am Mittelportal der
Westfassade.
Und er hat – wie ich meine
– allen Grund dazu!
Bevor ich den verrate, will ich mich noch ein wenig
an seiner gewinnenden Gestalt erfreuen.
Ein
Engelwesen – ich wähle
bewusst das grammatische Neutrum – ist eigentlich nach allgemeiner Übereinkunft
ein geschlechtsloses Geistwesen, steht also außerhalb der angeblich so streng
binären Schöpfungsordnung.
Lässt man es allerdings körperliche
Erscheinungsformen annehmen, bleibt der Phantasie nur der Ausweg: Von allem
etwas. Mein Engel hat von allem das Beste: Eine jugendlich schlanke Gestalt,
ein elegant gefältetes Outfit, ein freundlich-rundliches Gesicht mit vollen
Wangen, ein gepflegter Lockenkopf. Und auch das Gefieder des Freudenboten ist
sorgfältig gekämmt.
Womit wir
denn endlich bei seinem himmlischen
Auftrag wären. Der das gewinnende
Lachen allemal rechtfertigt. Das ist ein Verkündigungsengel, die Auserwählte
seiner frohen Botschaft steht rechts neben ihm. Maria, die zukünftige Mutter
Gottes. Wer auch immer die beiden zusammengebracht hat: Hier steht zusammen,
was zusammen gehört. Die Konstellation macht Sinn, gerade wenn man ein häufig
überlesenes dramaturgisches Element der Erzählung von der Verkündigung
einbezieht. Die frohe Botschaft des Engels stößt bei Maria auf Widerstand: „Wie
soll das geschehen? Ich, Mutter eines Gottessohnes?“
Und jetzt muss das himmlische Wesen in seine göttlichen Worte allen Charme und alle Liebenswürdigkeit hineinlegen und auf seinem Antlitz erstrahlen lassen. Komm, sag „Ja“!
Musik 5 Felicias Valse (Mulo Francel)
Das Lächeln
des Erzengels Gabriel an der Kathedrale von Reims, diese Charmeoffensive, mit
der die frohe Botschaft anschaulich und wirkungsvoll unterstrichen wird, ist
aber nicht nur ein schöner Einfall der dramaturgischen Inszenierung des
Ereignisses.
Seine Bedeutung reicht noch
tiefer. Die Verkündigungserzählung ist doch eine Anfangsgeschichte. Nicht
irgendeines Anfangs: Hier beginnt Gottes Geschichte mit den Menschen nochmal
neu durch die Menschwerdung des Gottessohnes. Solche Anfangsgeschichten wollen
nicht zu allererst erzählen, wie es im Anfang war. Sondern es geht um das
Wesen, um das Eigentliche! Und wie kann dieses Wesen schöner und passender dargestellt
sein als mit einem Lächeln? Ja, ich weiß auch um den Ernst, den Tod-Ernst der
Geschichte, die hier beginnt. Aber im Wesen ist das Evangelium von Jesus
Christus doch eine frohe Botschaft. Der menschenfreundliche Gott wendet sich
den Menschen neu zu mit all seiner Güte und Liebe in dem Menschen Jesus: Und da
soll ich mir dieses fleischgewordene Antlitz Gottes nicht freundlich lächelnd,
wissend schmunzelnd, herzlich lachend vorstellen dürfen? Und darf ich mich
nicht nach einer kirchlichen Verkündigung sehnen, die entschieden in diesem
Sinne ihrem Meister nachfolgt? Damit die Geschichte nicht nur gut anfängt!
Von solchen Engeln kann ich gar nicht genug kriegen!
Musik 6 Engel (Marius-Müller Westernhagen)
Aus Essen grüßt sie Herbert Fendrich