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Das Geistliche Wort | 17.01.2021 | 08:40 Uhr

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Der Gottsucher

Autor: Die Dichter, die Priester – sinngeile Biester?

Die Priester, die Dichter – feiles Gelichter, …


Priester – Dichter - Pfarrer - sinngeile Biester? Hören Sie mich, einen Pfarrer so? Hören Sie mich so, dass ich versuche Erleuchtung feil zu bieten – und so unter die Leute zu bringen? Große Worte – große Gesten – aber hohl! Haben sie auch die Vertreter vom geistlichen Stand so erlebt?


Ich sag’ Guten Morgen. Mit Robert Gernhardt. Dem Dichter. Dem, der den Finger nicht nur in die Wunde legt, sondern bohrt. Aber so richtig.


Musik 1: In No Man’s Land, von CD: Lost in the Stars (1985), Track 20, Text und Musik: Kurt Weill, Arranged by: Van Dyke Parks, Vocals: Kathy Dalton, Label: A&M Records, LC: 0485.


Sprecher: Hyänen (1)


Autor: Ich fühle mich ertappt. Auch ein bisschen geehrt. Aber vor allem ertappt. Ich bin Pfarrer. Also auch so ein sinngeiles Biest?


Robert Gernhardt, ist für mich einer der wichtigsten zeitgenössischen Dichter in deutscher Sprache. Ich schätze seine Gedichte. Und nun nennt er seinen und meinen Beruf in einem Atemzug. Das ist ein Ritterschlag. Aber ein Ritterschlag mit Keule. Denn: Gernhardt unterstellt, dass ich als Pfarrer nur Worte mache, weil ich käuflich bin, meine christlichen Worte feilbiete. Deswegen möchte ich bei den Leuten gut ankommen. Ja, und sonst…?! Was hab‘ ich, was hat meine Kirche wirklich anzubieten, wenn es ernst wird – wenn es um das Leben geht – und um den Tod?


Trost – wird behauptet. Aber wie oft werden die Menschen nur vertröstet. Tröstet es wirklich, wenn ich am Grab von der Auferstehung Jesu erzähle? Wenn ich Menschen, die gerade jemanden verloren haben, den sie lieben davon erzähle, dass bei Gott kein Name vergessen ist? Ich komme meinen Aufgaben nach, ich spreche meine Sprache. Aber wer versteht mich? Rauschen meine kirchlich geprägten Worte an Herz und Ohr der Menschen vorbei?

Robert Gernhardt hat das genau so erlebt.


Sprecher: Hiob im Diakonissenkrankenhaus (2)

Autor: Als Gernhardt das schreibt liegt er im Krankenhaus – er ist schwerkrank. Und Leute, die von Berufswegen über Gott reden, haben ihm nichts mehr zu sagen! All das Reden über den gütigen und den lieben Gott. Robert Gernhardt kann es nicht mehr hören. Gott liebt die Menschen, sagen sie ihm im Diakonissenkrankenhaus. Aber warum dann so viel Leid?! Gott ist gut, sagen sie ihm. Aber warum dann all das Böse?


Gernhardt ergeht es wie Hiob, von dem in der Bibel erzählt wird. Hiob hat seine Freunde um sich, die ihm helfen und die ihn trösten wollen. Was sie über Gott sagen ist richtig und wichtig. Aber es geht an Hiob vorbei. Hiob weiß in seiner Not nicht ein und aus.
Er hat alles verloren, was ihm wichtig und wert ist: sein Besitz wurde ihm geraubt, seine Kinder sind umgekommen – und er selbst – er quält sich mit Hautausschlag und kratzt mit Glasscherben an seinen Wunden. Reden von einem allmächtigen und gütigen Gott helfen ihm nicht.


Ich frage mich, ob ich als Pfarrer auch so unbedacht und unangemessen von Gott rede, wie die Freunde von Hiob. Bin ich auch einer von diesen leidigen Tröstern, die nur ihre Wahrheit verkaufen wollen. Einer von denen, die die Not der Menschen um sich herum gar nicht richtig wahrnehmen?


Hiob und Robert Gernhardt wehren sich gegen das Gerede guter Menschen von einem immer guten Gott. Beide – Hiob in der Bibel und Robert Gernhardt aus unserer Zeit – wären Gott am liebsten los. Hiob fühlt sich von Gott regelrecht verfolgt. Also macht er Gott einen Vorschlag:


Sprecher: Siehe, ich habe nur noch kurze Zeit zu leben – Lass mich den Rest in Frieden genießen (Die Bibel, Hiob 10,20)


Und Robert Gernhardt? Er ahnt: Er wird Gott so wenig los, wie sich selbst.

Warum will Robert Gerhardt, warum will Hiob Gott loswerden? Warum können die beiden den lieben Gott nicht einfach einen guten Mann sein lassen? Können sie nicht – Gott steckt ihnen beiden in den Knochen. Also, was hilft? Auf Abstand gehen. Zu sich selbst und zu Gott. Robert Gernhardt versucht das mit Humor:


Musik 2: Upstairs with Beatrice, von CD: Quintet Islands (2003), Track 5, Musik: Bob Brookmeyer & Kenny Wheeler, Producer: John Snyder, Label: Artists House, Barcode: 827867000628.


Sprecher: Gedicht über den Menschen (3)


Autor: Robert Gernhardt entlarvt in seinen Gedichten seine dauerredenden und selbstgewissen Zeitgenossen. Alle, die sich für clever und unwiderstehlich halten – denen hält Gernhardt einen Spiegel vor. Ihre Selbstbelobigungen, diese großen Sätze vom guten Menschen – die sind in Gernhardts Ohren hohl und nichtssagend.

Er hat nicht nur gute Erfahrungen mit seinen Mitmenschen gemacht – und auch nicht mit sich selber. Diesen bohrenden Blick wirft er nicht nur auf die anderen. Er geht auch mit sich selbst kritisch ins Gericht. Nachdem seine erste Frau viel zu früh gestorben ist, blickt er noch einmal zurück. Was war das für eine Zeit – die letzten Monate?
Er hat sich für seine Frau aufgerieben, er hat sich garantiert viel gefallen lassen, er hat sich die Nächte für sie um die Ohren gehauen. Und ja – er hat sich auch mal eine Pause gegönnt, musste auch in dieser Zeit mal an sich denken – das haben ihm bestimmt einige gute Freunde geraten – er lobt sich dafür nicht, er preist nicht seine gute Taten; vielmehr hat er das Gefühl: „es reicht nicht, es reicht nicht!“


Sprecher: Prozess (4)


Musik 3: Nightwings, von CD: Violin and Piano Works (2007), Track 7, Musik: Claus Ogerman, Interpreten: Jean Yves Thibaudet (piano) & Yue Deng (violin), Label: Decca, Bestellnummer: 00028947584001/ ASIN: B000V971T8.


Autor: All diese verrückten Lebenserfahrungen – die macht Robert Gernhardt aber nicht nur mit sich selbst aus. Er wirft all das, was er nicht versteht Gott vor die Füße. Dazu nimmt er eine klassische Vorlage: den cherubinischen Wandersmann, eine Sammlung geistreicher Sinnsprüche vom schlesischen Mystiker Johannes Scheffler, genannt: Angelus Silesius: - „Schlesischer Engel“.

Gernhardt zitiert den frommen Dichter und gießt seine eigenen, bitteren Erfahrungen über die alten Worte und macht aus dem cherubinischen einen jakobinischen Wandersmann – einen Revoluzzer im Namen der menschlichen Erfahrungen.


Sprecher: Jakobinischer Wandersmann (5)


Autor:
So ganz ohne Pathos geht es also bei Robert Gernhardt nicht: unser Wesen soll menschlich werden – schön, aber was heißt das genau bei Menschen, die so unzuverlässig sind, wie er es von sich selbst weiß. Was heißt das „menschlich werden“, wenn man weiß, wie brüchig und anfällig wir Menschen sind? Vielleicht genau dies – menschlich, wirklich menschlich ist es, sich einzugestehen, dass wir alles andere als perfekt sind. Wir Menschen sind so ratlos, hilfsbedürftig, angewiesen. „Wir sind Bettler – das ist wahr!“ (6)


Genauso musste es Robert Gernhardt an sich selbst erfahren. Er erkrankt an Krebs. Dazu hat er einmal gesagt hat: ich litt nicht am Krebs – nur an der Therapie. (7) Vielleicht hat er an der Therapie gelitten, weil sie genau dieses Brüchige, das Unperfekte ausbügeln will. Die Therapie macht Hoffnung, sie soll den Kranken wieder ganz, heile, unversehrt machen – aber das wird nie gelingen. Ob er deswegen an der Therapie, an zerbrochener Hoffnung gelitten hat? Und an Gott?! Auch mit dem hat er weiter gestritten – denn Gott hat ihm nicht geholfen, hat ihn nicht aus der Krankheit heraus geholt - als ob Gott ein Garant dafür sein könne, dass alles wieder gut wird - eine trügerische Vorstellung von Gott. Gott ist nicht der Gehilfe unserer Wünsche. Gott ist nicht ein himmlischer Weihnachtsmann für alle Fälle. Solch ein Gottesbild wird in den Gedichten und Texten von Robert Gernhardt auseinandergenommen.
Gerade in der Zeit seiner Krebs - Therapie hat er mit Gott gestritten. Er hat ein ganzes Buch mit seinen K-Gedichten geschrieben.

Aber bis zum Schluss ist er an Gott drangeblieben. Ich frag mich warum – ich weiß es nicht. Ich kann nur wahrnehmen, dass Robert Gernhardt mit Gott bis zum Schluss gestritten hat. Er hat über ihn Gedichte gemacht, die an den Rand der Lästerei gehen – so wie Hiob in der Bibel. Vielleicht, weil sich Robert Gernhardt in seinem ganzen, wilden Leben die Seele eines Kindes bewahrt hat – genauso trotzig!– Genauso trotzig ist Gernhardt an Gott drangeblieben; trotzig wie ein Kind - gerade so, wie Jesus es uns Menschen empfohlen hat.


Sprecher: Rückgabe (8)


Autor: Die Seele eines Kindes, die hat er nie verloren. Eine kluge, kindliche Freude hat sich Robert Gernhardt bewahrt: Freude am Blödsinn, Freude am Fabulieren und Verse schmieden. Aber aus einer Not ist er nie herausgekommen: aus der Not, dieses Leben und die Menschen nicht wirklich zu verstehen. Wie er sie geliebt und gehasst hat, wie er genießen und fein beobachten konnte und dann nicht verstehen, wieso man dieses Leben nur so oft zerstört – beide: Gott und der Mensch – sie beide sind doch für dieses Leben verantwortlich, warum nur sind sie so unberechenbar?


2006 ist Robert Gernhardt mit 68 Jahren gestorben. Ob ich ihm noch etwas wünschen darf? Ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er Gott nun sieht, wie er wirklich ist. Der Apostel Paulus sagt einmal: „wir sehen jetzt wie durch einen Spiegel – ein dunkles Bild. Dann aber von Angesicht zu Angesicht“ (Die Bibel, 1. Kor 13,12)


Robert Gernhardt ist immer an Gott dran geblieben - aber er hatte zeit seines Lebens erhebliche Zweifel daran, ob es gut ist, dass Gott an uns Menschen dranbleibt. Gott war immer wieder eine anstrengende, unberechenbare, manchmal sogar böse Macht in seinem Leben – so sagen es seine Gedichte.


Ich glaube: Gott ist anders. Ich glaube: Gott ist so brüchig und hilflos – wie Jesus am Kreuz. Und er ist so unüberwindlich, wie das Leben und die Liebe selbst – und das ist unser Glück. Ob Robert Gernhardt IHN jetzt auch so sieht?


Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen Ihr

Eberhard Helling, Pfarrer in Lübbecke.


Musik 4: String Quartet N. 1, von CD: Other People (2005), Track 6, Musik: Kenny Wheeler, Hugo Wolf String Quartet, special Guest: John Taylor, Label: C.A.M. Jazz, Barcode: 8024709780126/ ASIN: B0011FEHQG.












Redaktion: Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel


Quellen:

Das Copyright liegt beim S. Fischer Verlag, mit dessen freundlicher Genehmigung des S. Fischer Verlags aus Robert Gernhardts Werk zitiert werden durfte.


(1) Hyänen, in: Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte 1954-2004, 3. Auflage, Frankfurt 2006, S. 397.

(2) Hiob im Diakonissenkrankenhaus, in: Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte 1954-2004, 3. Auflage, Frankfurt 2006, S. 473.

(3) Gedicht über den Menschen (mit Trompetenbegleitung), in: Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte 1954-2004, 3. Auflage, Frankfurt 2006, S. 65.

(4) Prozess, in: Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte 1954-2004, 3. Auflage, Frankfurt 2006, S. 395f.

(5) Jakobinischer Wandersmann, in: Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte 1954-2004,
3. Auflage, Frankfurt 2006, S. 365f.

(6) Martin Brecht, Martin Luther, Bd.3, S. 368.

(7) wikipedia, Robert Gernhardt, Anm. 5, aufgerufen: 21.10.2020.

(8) Rückgabe – Antrag, in: Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte 1954-2004, 3. Auflage, Frankfurt 2006, S. 468f.



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