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Das Geistliche Wort | 01.12.2019 | 08:40 Uhr

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Gott begegnet mir anders

Sprecherin: „Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen. Die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein.“ (1)

Autor: So hat Dietrich Bonhoeffer, einer der bedeutendsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts, vor 75 Jahren geschrieben.

Ich glaube, dass er Recht hatte. Zumindest teilweise. In den westlichen Industriestaaten und im sogenannten „christlichen Abendland“ verliert die Frage nach Gott immer mehr an Bedeutung. Nur die Hälfte der Deutschen gehört noch einer christlichen Kirche an. Viele kehren nicht nur der Kirche als Institution den Rücken. Sie sagen mir: „Ich glaube nicht an Gott. Und ich brauche ihn auch nicht.“

Wozu brauche ich ihn? Als Erklärung für Dinge, die ich mir nicht erklären kann? Vieles, was wir heute noch nicht wissen, kann morgen schon erforscht sein. Natürlich werden wir nie alles wissen. Aber soll Gott nur noch in den Lücken meiner Erkenntnis Raum haben?

Als Retter aus Schwachheit und Schuld brauche ich ihn meistens auch nicht. Ich weiß um meine Fehler und Schwächen, aber als verlorener, verdammter Sünder, der nur um Gnade betteln könnte, fühle ich mich nicht. Auch Jesus hat nie behauptet, dass man nur in demütiger Büßerhaltung Zugang zu Gott finden könne.

Ein Gott, nach dem ich nur frage, wenn ich nicht mehr weiterweiß oder nicht mehr weiterkann, wäre nach Bonhoeffers Worten ein bloßer Lückenbüßer-Gott. Und immer weiter auf dem Rückzug, je mehr Probleme ich aus eigener Kraft bewältigen kann.

Und wo jemand das nicht kann? Wo ihm die Kraft dazu fehlt oder er keinen Ausweg sieht? Wo ich wirklich in Not bin, das sagen viele, da hilft mir auch kein Gott. Ist er gegangen? In unerreichbare Ferne entschwunden?

Musik 1: Track 1 Sonate c-Moll nach BWV 526; Jazz. Spors. Bach. – Triosonaten/ Trio Sonatas; Spors, Michael; Schuster, Sebastian; Raff, Christoph; Walther, Ulrich; Organum Musikproduktion; Organum Classics Ogm 181075; www.organum-classics.com; LC 02007

Autor: Die Frage, wo Gott überhaupt noch zu finden sei, stellt sich nicht erst heute. Die Juden hat sie schon in den Jahrhunderten vor Jesus bedrängt. Früher, so erzählten sie sich, da hat er sein Volk begleitet. Er ist in einer Feuer- und Wolkensäule vor ihm hergezogen und hat durch Propheten zu ihm gesprochen. Aber dann fiel sein Königreich fremden Eroberern zum Opfer. Das Volk wurde zum Spielball der Großmächte. Und Gott? Er ist nicht mehr da. Er hüllt sich in Schweigen. Der Dichter des 74. Psalms klagt darüber:

Sprecher: „Es gibt kein Zeichen mehr dafür, dass Du noch bei uns bist. Kein Prophet spricht mehr. Niemand von uns weiß, wie lange das noch dauert.“ (2)

Autor: Die Prophetie ist verstummt. Gott hat sich zurückgezogen. Und so wartet das Volk Gottes. Sie warten auf den Tag, an dem Gott sein Schweigen bricht und sich wieder um sein Volk kümmert. Sie sind in Advents-Stimmung. Denn Advent, das heißt: Ankunft. Ankunft Gottes.

Warten kann mürbe machen. Das Warten zumindest auf ein kleines Zeichen, dass Gott mich nicht völlig verlassen und vergessen hat. Das Lukas-Evangelium berichtet von einem Priester namens Zacharias und seiner Frau Elisabeth. Sie haben sich vergeblich Kinder gewünscht und sind nun in einem Alter, in dem man eigentlich keine mehr erwarten kann. Da kündigt ein Engel Zacharias die Geburt eines Sohnes an. Zacharias winkt voller Bitterkeit ab: „Wie könnte ich Dir glauben? Meine Frau und ich sind zu alt für Kinder.“

Aber dann bekommen Zacharias und Elisabeth einen Sohn: Johannes, den man später den Täufer nannte. Da beginnt Zacharias prophetisch zu reden. Für jüdische Ohren jener Zeit ist das ein Signal, das aufhorchen lässt: es gibt wieder Prophetie! Gott hat sein Schweigen gebrochen. Er ist in die Welt zurückgekehrt. In Zacharias‘ Worten mischt sich die prophetische Begeisterung mit der ganz persönlichen Freude darüber, dass sein Kinderwunsch doch noch in Erfüllung gegangen ist.

Sprecher: „Gelobt sei der Herr, unser Gott: er kommt seinem Volk zu Hilfe! Er schickt einen starken Retter, einen Nachkommen seines Dieners König David, so wie er es durch den Mund der Propheten verkündet hat. Er hält den Bund, den er mit unserem Ahnherrn Abraham geschlossen hat: er rettet uns aus der Hand unserer Feinde, damit wir ihm ohne Furcht in Gerechtigkeit dienen. Er sendet sein Licht aus der Höhe, dass es denen leuchte, die im Schatten des Todes sitzen. Du, mein Sohn, wirst dem Gottgesandten vorausgehen und ihm den Weg bahnen.“ (3)

Autor: Zacharias findet seine Sprache wieder, mit Worten, die die jüdische Glaubenstradition geformt hat und bereithält. Mit ihnen findet er aus seiner Sprachlosigkeit heraus.

Musik 2:
Track 3 Sonate c-Moll nach BWV 526; Jazz. Spors. Bach. – Triosonaten/ Trio Sonatas; Spors, Michael; Schuster, Sebastian; Raff, Christoph; Walther, Ulrich; Organum Musikproduktion; Organum Classics Ogm 181075; www.organum-classics.com; LC 02007

Autor: Zacharias spricht in der Sprache der Psalmen und biblischer Prophetenweissagungen. Manchmal, wenn mir die Worte fehlen, helfen auch mir die religiösen Einsichten und Erfahrungen anderer. In dem, was sie gesagt, geschrieben, musiziert oder gemalt haben, finde ich wieder, was ich selber denke und empfinde.

Auch in Worten der Bibel. Sie sind Jahrtausende alt, zum Teil sperrig formuliert, aus einer längst vergangenen Welt. Aber manchmal muss ich sie nur aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Dann merke ich: das ist alles gar nicht so weit weg. Ich kenne diese Erfahrungen auch, die die Menschen der Bibel gemacht haben. Nur habe ich heute vielleicht andere Worte dafür.

Es müssen aber nicht immer Bibelworte sein, in denen Gott mir begegnet. Es kann die Atmosphäre eines Kirchenraumes sein oder ein beeindruckendes Naturerlebnis. Eine Gefahr, der ich mit knapper Not entronnen bin, oder ein Glück, für das ich von Herzen dankbar bin. Die Stimme meines Gewissens oder die Begegnung mit Menschen, die mir beistehen oder neue Perspektiven aufzeigen. Solche Erlebnisse können zu adventlichen Erfahrungen werden, wenn ich sie zu Gott in Beziehung setze und seine Nähe darin spüre.

Musik 3: Track 10 Sonate d-Moll nach BWV 527; Jazz. Spors. Bach. – Triosonaten/ Trio Sonatas; Spors, Michael; Schuster, Sebastian; Raff, Christoph; Walther, Ulrich; Organum Musikproduktion; Organum Classics Ogm 181075; www.organum-classics.com; LC 02007

Autor: Um mir nah zu sein, muss Gott vielleicht wirklich erst einmal gehen. Muss sich meinen Erwartungen widersetzen und mir fremd werden, um mir neu zu begegnen. Vielleicht wo ich gar nicht mit ihm rechne. Ganz anders, als ich es je gedacht hätte.

Begegnungen mit Gott waren auch für die Menschen der Bibel oft verwirrend, manchmal sogar erschreckend. Auch die Botschaft Johannes des Täufers hatte bedrohliche Züge. Sie lautete: „Der gottgesandte Retter wird die Gerechten erlösen. Aber alle, die nicht beizeiten Buße tun und sich von mir taufen lassen, wird er im Feuer eines göttlichen Strafgerichtes verbrennen.“

Der Kirche gilt Johannes als Wegbereiter Jesu. Aber Jesus war alles andere als der gnadenlose Richter, den Johannes angekündigt hatte. Jesus sagt: „Ich bin nicht gekommen, um zu richten, sondern um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ Er ist nicht gekommen, die Gerechten um sich zu scharen, sondern sich der Schuldigen, Verachteten und Gescheiterten anzunehmen. Und nicht nur ihrer, sondern der Menschen überhaupt. Mit diesem bedingungslosen Ja Gottes zu allen Menschen steht Jesus im Gegensatz zu den Vorstellungen seiner Zeit, die Johannes der Täufer in radikal zugespitzter Weise widerspiegelt.

Jesus spricht von einem Gott, der niemandem droht. Dem niemand etwas beweisen muss. Den niemand gnädig stimmen muss, weil er gnädig und den Menschen in Liebe zugewandt ist. Und der hofft, dass sie seine Liebe erwidern und sich in dem, was sie tun und wie sie leben, von ihr leiten lassen.

Jesus nimmt denen, die ihm glauben und folgen, alle Angst vor Gott – niemand kann sie mehr mit der Androhung göttlicher Strafen unter Druck setzen. Er schenkt ihnen ein Gottvertrauen, mit dem sie Anfeindungen und abfälligen Urteilen anderer gelassener und selbstbewusster begegnen können. Er hat den Verachteten zu neuer Würde verholfen, hat Vereinsamte aufgesucht, Feindseligkeiten überwunden und Kranke geheilt. Mit ihm, so sagt Zacharias, hat Gott denen, die im Schatten des Todes sitzen, ein Licht aus der Höhe gesandt.

Musik 4: Track 16 Sonate C-Dur nach BWV 529; Jazz. Spors. Bach. – Triosonaten/ Trio Sonatas; Spors, Michael; Schuster, Sebastian; Raff, Christoph; Walther, Ulrich; Organum Musikproduktion; Organum Classics Ogm 181075; www.organum-classics.com; LC 02007

Autor: Das Licht aus der Höhe, das Jesus gebracht hat, ist bis heute nicht wieder verloschen. Es hat seither unzähligen Menschen Trost und Hoffnung, Kraft und Klarheit geschenkt. Dietrich Bonhoeffer war einer von ihnen. Bei aller Klarheit und Schärfe, mit der er reden konnte, war er von einem tiefen Gottvertrauen erfüllt. In seinem wohl bekanntesten Gedicht hat er es zum Ausdruck gebracht hat:

Sprecherin: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ (4)

Autor: Eine tröstliche adventliche Gewissheit kommt in der fünften Strophe des Gedichtes zum Ausdruck:

Sprecherin: „Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die Du in unsre Dunkelheit gebracht. Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es: Dein Licht scheint in der Nacht.“ (5)

Autor: Dieses Licht verlischt auch dann nicht, wenn ich diese Welt eines Tages verlassen muss. Für die Liebe des Ewigen ist der Tod keine Grenze. Dass ich in ihr bewahrt bleibe und ihr auch die Menschen anvertrauen kann, die der Tod mir nimmt, ist die letzte und größte Hoffnung, die mein Glaube mir gibt.

Damit bin ich nicht alle Sorgen und Probleme los. Und ich habe auch noch lange keine Antwort auf alle Fragen. Manches werde ich klären oder verändern können. Manches werde ich als unabänderlich hinnehmen, es vielleicht sogar aushalten müssen. Aber in beidem kann ich mir der Hilfe Gottes sicher sein. Mein Glaube bewahrt mich vor Größenwahn und Selbstüberschätzung. Und davor, in Panik zu geraten, mich und meine Lieben vorschnell aufzugeben.

Nein, Gott ist nicht gegangen. Manche Vorstellungen über ihn mögen gegangen sein, mögen sich als überholt oder fragwürdig erwiesen haben. Der Lückenbüßer-Gott, auf den ich nur bei Bedarf zurückgreife, hat ausgedient. Damit aber kann Gott mir neu und anders begegnen. Hintergründig, geheimnisvoll, manchmal auch deutlich spürbar. Nicht nur in den Lücken meiner Erkenntnis oder an meinen Schwachpunkten oder Grenzen, sondern mitten im Leben. Die Adventszeit lädt ein, dafür offen und bereit zu sein. In und hinter dem festlichen Lichterglanz dieser Wochen mehr zu spüren und zu sehen als das, was vor Augen liegt.

Musik 5: Track 18 Sonate C-Dur nach BWV 529; Jazz. Spors. Bach. – Triosonaten/ Trio Sonatas; Spors, Michael; Schuster, Sebastian; Raff, Christoph; Walther, Ulrich; Organum Musikproduktion; Organum Classics Ogm 181075; www.organum-classics.com; LC 02007

Ermutigende, befreiende, tröstliche, klärende, vielleicht auch ganz überraschende Begegnungen mit Gott, der nie wirklich gegangen ist, wünscht Ihnen Pfarrer Johannes Doering von der Evangelischen Kirchengemeinde Unna.

Fußnoten:
(1) Bonhoeffer, Dietrich, Widerstand und Ergebung, 1970, S. 305.
(2) Psalm 74, aus: Die Lutherbibel 2017
(3) Lukas 1, 67-80, aus: Die Lutherbibel 2017
(4) EG 65/ (andere Melodie) 652 Von guten Mächten, Text: Dietrich Bonhoeffer (1944); Melodie und Satz Otto Abel (1959)/ Text: Dietrich Bonhoeffer (1944); Melodie: Siegfried Fietz (1970)
(5) ebd.


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