Gut gegen Angst

„Guten Morgen“, sagte mein Radiowecker. „Aufwachen! Heute ist immerhin schon Freitag!“

„Na und?“ fragte ich, noch ziemlich verschlafen.

„Ja, weißt du denn nicht, was das heißt?“ fragte mein Radiowecker eifrig und begann zu singen: „Einmal werden wir noch wach und dann schon das Wochenende lacht!“

„Sag mal, ist bei dir heute Nacht irgendwas Wichtiges durchgeschmort?“

„Wieso?“ fragte mein Radiowecker unschuldig.

„Dass du morgens immer wieder mal mit mir reden willst, daran hab‘ ich mich inzwischen gewöhnt. Ab und zu kommt ja sogar etwas Gescheites dabei heraus.“

„Oh, ein Kompliment am frühen Morgen! Ich glaube, so was hatten wir noch nie!“

„So schnell wird auch kein Weiteres dazu kommen! Denn an deine Gesangsdarbietungen werd‘ ich mich ganz bestimmt nie gewöhnen!“

„Echt? Schade! Ich wollte nur ein bisschen gute Stimmung machen. Weil du gestern Abend so besorgt ausgesehen hast. Stell dir vor, den Text des Liedes hab‘ ich sogar selbst gedichtet!“

„Irgendwie hat man ihm das angemerkt.“

„Ach, komm, was bist du denn für eine Spaßbremse, Mann? Du klingst, als stünden wir kurz vor dem Weltuntergang!“

„Ganz so schlimm wird’s vielleicht nicht. Aber ich mach‘ mir schon ziemlich Sorgen gerade.“

„Wieso? Was ist denn los?“

„Ja, kriegst du denn keine Nachrichten mit?“

„Doch. Aber nur so lange, wie du das Radio anlässt.“

„Na, dann weißt du ja, dass in gut einer Woche Präsidentschaftswahlen in den USA sind.“

„Und das macht dir Sorgen? Glaubst du echt, dass Donald Trump die Wahlen gewinnt?“

„Weiß man’s? Es hat auch keiner geglaubt, dass er überhaupt Kandidat wird!“

„Das stimmt natürlich. Und du hast Angst, weil keiner so richtig einschätzen kann, was der als Präsident alles machen wird?“

„Ich hab‘ vor allem Angst, dass Donald Trump als Präsident genau das macht, was er jetzt ankündigt! Und dann gute Nacht, schöne Großmutter.“

„Ich wusste gar nicht, dass du eine schöne Großmutter hast.“

„Jetzt lass die Witze! Ich find’s schon nicht lustig, dass Polen und Ungarn von Populisten regiert werden. Und dass die AfD in Deutschland immer stärker wird, trotz der internen Streitigkeiten und trotz aller Entgleisungen, einfach nur mit Stimmungsmache - das ist echt beunruhigend. Aber die USA sind halt ‘ne andere Größenordnung!“

„Du meinst, wegen der Armee und der Atomwaffen?“

„Ja, und wegen der Wirtschaftskraft und dem weltweiten Einfluss. Das ist immer noch ‘ne Weltmacht. Wenn da Donald Trump die falschen Weichen stellt, dann kann das böse enden.“

„Also, wie das endet, weiß ich natürlich auch nicht. Aber eins ist sicher: Wenn du hier die große Panik schiebst, wird’s garantiert nicht besser.“

„Ach! Und was soll ich stattdessen tun?“

„Na ja, auf die Wahlen in den USA hast du keinen großen Einfluss. Aber wenn du deine Energie weniger in Angst investierst und dafür mehr in Engagement, dann kannst du vielleicht doch was bewegen.“

„Was für’n Engagement denn?“

„Na, da gibt es doch tausend Möglichkeiten! Du kannst zum Beispiel hier vor Ort bei der Flüchtlingshilfe mitmachen oder bei der Tafel, wo sie Lebensmittel an Bedürftige ausgeben. Dann lernst du die Leute kennen, die zu uns kommen. Oder die, denen es bei uns schlecht geht. Und kannst besser dagegen halten, wenn dein Kollege auf der Arbeit wieder seinen Fremdenhass verbreitet.“

„Du meinst, weil ich dann nicht nur theoretische Argumente habe?“

„Genau. Gegen Hass und Angst helfen persönliche Begegnungen immer noch am besten. Und was die USA angeht - du kannst ja anfangen, eine Menschenrechtsorganisation zu unterstützen. Wenn Donald Trump nämlich Präsident wird, werden die in den USA reichlich zu tun haben. Dann können die jede Unterstützung gebrauchen.“

„Hm, ja. Irgendwas davon könnte ich sicher angehen. Jedenfalls nicht schlecht, deine Vorschläge.“

„Hab‘ ich jetzt etwa doch ein zweites Kompliment gekriegt?“, freute sich mein Radiowecker - und schaltete auf WDR 2 um.