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Kirche in WDR 4 | 24.12.2022 | 08:55 Uhr
Last Christmas
So…jetzt haben wir aber genug „Last Christmas“ gehört die letzten Wochen. Aber einmal möchte ich noch mit Ihnen über „Last Christmas“ sprechen. Aber nicht über das Lied, sondern über das, wie es ist, wenn man das letzte Mal Weihnachten mit einem lieben Menschen feiert. Vielleicht haben Sie das schon mal erlebt. Bei mir war das letztes Jahr so. Mein Vater hatte Lungenkrebs im Endstadium.
Und Sie können sich vorstellen, was so ein Weihnachten für eine Gefühlsachterbahn bedeutet. Natürlich haben wir nicht übers Sterben gesprochen. Natürlich hat Papa sich fast nichts von seinen Schmerzen anmerken lassen. Natürlich haben wir die Krippe aufgebaut, den Tannenbaum geschmückt, haben versucht, so viel wie möglich genauso zu machen wie in den Jahren davor. Denn mal ehrlich: Weihnachten ist ja jetzt nicht so bekannt dafür, ein Fest der großen Experimente zu sein; sondern es hat viel damit zu tun, dass Weihnachten am liebsten so ist, wie es immer schon war. Und zu meinem Weihnachten gehörte bis letztes Jahr mein Vater dazu; und dass er irgendwann die Gitarre holt und wir zusammen Lieder singen.
An seinem „Last Christmas“ ließ Papa sich die Gitarre auch geben. Aber: Schon bei den ersten Akkorden klappte das nicht mehr. Er, der „Leise rieselt der Schnee“ früher im Schlaf hätte spielen können, fand die Griffe nicht mehr. Und wir alle, die wir um ihn versammelt saßen, hätten heulen können. Aber wir sind alle tapfer geblieben. Stephie, meine Frau, hat dann die Gitarre übernommen und wir haben die Lieder gesungen wie jedes Jahr. Gegen die Trauer und auch gegen die Wut über diese Krankheit haben wir angesungen: „In den Herzen ist’s warm. Still schweigt Kummer und Harm. Sorge des Lebens verhallt: Freue Dich, Christkind kommt bald.“
Dann haben wir zusammen gegessen. Und später noch haben wir zusammen die Feuerzangenbowle geguckt. Mein Vater in einem großen Sessel, die Beine hochgelegt und mit Decken eingepackt, und meine Mutter saß neben ihm auf dem Boden und hielt die ganze Zeit die Hand hoch, um seine zu halten. Ich kann mir nur vorstellen, wie unbequem das für sie gewesen sein muss – sie war damals immerhin auch schon 71 und ich hätte spätestens bei „Wat es enne Dampfmaschin“ Rückenschmerzen bekommen bei der Sitzhaltung.
Aber: Bei so einem „Last Christmas“, bei so einem letzten Weihnachten, da sind viele Dinge auf einmal sehr egal. Egal sind da die kleinen Streitigkeiten – und die kennen wir auch zu gut in unserer Familie. Beim „Last Christmas“ wird umso klarer, worauf es ankommt: Wir Menschen sind Beziehungswesen. Wir können nicht ohne. Wir verdanken so vieles, was uns ausmacht, anderen Menschen. Wir sind verwoben und verflechtet mit Menschen. Das Webgarn dafür ist: Liebe. Ich könnte das alles jetzt auch theologisch deuten. Aber bei dem „Last Christmas“ mit meinem Vater: Da stand mir das noch mal ganz klar und einfach vor Augen.
Falls Sie vor so einem „Last Christmas“ stehen – aus welchen Gründen auch immer: Dann kann ich mir ungefähr denken, was an in diesem Morgen in Ihnen vorgeht. Und: Ich wünsche Ihnen Kraft. Sie werden selber wissen, wie viel Kraft es kostet. Überfordern Sie sich nicht. Schauen Sie umso genauer, was dann genau dran ist an diesem Weihnachten. Und Sie werden merken: Die Liebe wird dann von selbst im Raum sein, die Dankbarkeit und die Verbundenheit. Und das wird dann auf seine ganz eigene Art: eine heilige Nacht!
