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evangelisch
Kirche in WDR 2 | 02.01.2021 | 05:55 Uhr
Leon weint
Ich sitze auf der Bank auf dem
Spielplatz. Sehe meinem Sohn beim Buddeln zu. Zum Glück macht das Wetter mit.
Ein bisschen Sonne in trüben Tagen tut einfach gut. Dicke Jacke an und dann
raus. Manchmal braucht man das. Gerade jetzt. Neben mir sitzen, im gebotenen
Abstand, noch andere Eltern und genießen das Draußen-Sein. Mit einem Mal
springt eine Mutter auf und sprintet zum großen Klettergerüst. „Leon!“ Leon ist
ungefähr fünf und wohl gerade dabei, von der obersten Stufe des Gerüstes zu
springen. Warum auch immer. Er nimmt ein bisschen Schwung und springt – noch
bevor ihn jemand erreichen kann. Der Aufprall ist unsanft: Das Bein knickt weg,
das Knie schlägt auf. Und Leon weint. Laut und herzzerreißend. Aber sofort ist
seine Mama bei ihm, nimmt ihn in den Arm. Untersucht ihn. Nichts Schlimmes
passiert. Gottseidank. Aber es tut weh. „Ich bin ja da!“, sagt die Mutter
leise. Mehr tut sie gar nicht. Und das Kind beruhigt sich. Noch schluchzt er
ein bisschen. Aber auch das ist bald vorbei. Leon ist still. Er hält seine
Mutter, seine Mutter hält ihn. Das reicht. Eigentlich verwunderlich, denn an
der Sache hat sich ja an sich nichts geändert: Das Knie blutet noch immer und
es tut immer noch weh. Und doch ist für Leon alles anders geworden. Er fühlt
sich sicher: Meine Mama ist da. Jetzt kann mir nichts mehr passieren. Leon
vertraut. Er vertraut sich mit seinem kleinen Leben ganz seiner Mutter an. Und
das reicht, um ihm Sicherheit zu geben. Mütter können das. „Das könnte ich auch
manchmal gebrauchen.“, denke ich, während ich das alles beobachte. So einen
absoluten Trost. Dass man sich mit seinen Sorgen einfach so fallen lässt. Weil
man darauf vertraut: Da ist einer, der mich hält und der dafür sorgt, dass es
mir gut geht. Könnte ich gebrauchen. Wenn mir gerade mal wieder ganz
schwindelig wird von den ganzen Infektionszahlen und Maßnahmen und Regeln. Wenn
die Sorgen mich nicht mehr loslassen: Wie geht das denn jetzt alles hier
weiter? Was kommt da noch alles? Wird dieses Jahr so fies wie das letzte? Sich
einfach in die Arme nehmen lassen und vertrauen. Gott sagt einmal: Ich
will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jes 66,13 ) Gott breitet seine Arme aus. „Ich bin ja
da!“, sagt er. Ich will das auch. Mich einfach in seine Arme legen. Wie Leon in
Mamas Arme. Einfach zu vertrauen: Er ist da, dann kommen wir da schon irgendwie
durch. Aber es fällt mir schwer. Zugegeben. Ich will lieber selber wissen,
selber die Lösung haben. Entscheiden. Vertrauen fällt mir schwer. Und doch ist es
genau das, was ich jetzt brauche. Ich muss nur ein bisschen mehr wie Leon sein.
Ob ich mich das traue?
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth