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Das Geistliche Wort | 19.01.2020 | 08:40 Uhr

Letzte Dinge

Guten Morgen.

Manchmal denke ich: Was bleibt eigentlich?

Jahrzehntelang habe ich gern eingekauft, habe tausend Dinge angeschafft, die mir gefielen: Bücher, Kunst, CDs, Möbel und Einrichtungsgegenstände. Natürlich auch Kleidung, Schuhe und Handtaschen. Jetzt ist unser Haus voll. Und plötzlich – wird es mir zu viel. Ich frage mich: Brauche ich das wirklich alles? Was bleibt eigentlich eines Tages von mir in dieser Welt? Werden all diese Sachen, die mein zukünftiger Nachlass sind, etwas Wichtiges und Richtiges über mein Leben berichten?

Was bleibt? Was bleibt von einem Menschen in der Welt - nach seinem Tod?

Biologisch betrachtet sind es zunächst einmal die Gene, die weitergegeben werden – von Eltern zu Kindern zu Kindeskindern.

Mein Mann und ich haben keine Kinder, und vielleicht hat es mich deswegen so berührt, als mir eine Nachbarin im Sommer vom Umzug ihrer Großmutter in ein Altersheim erzählte:

„Es fiel uns beiden schwer“, berichtete sie. „Ein letztes Mal bei Oma schlafen. Ein letztes Mal mit ihr in der Küche frühstücken ...“

Von jener Großmutter werden also weit mehr als die Gene in der Welt bleiben: Erinnerungen an gemeinsame Momente, an Situationen, die ein Gefühl der Geborgenheit vermittelten.

Das ist in meinen Augen das Schönste: wenn die Liebe und die Zuneigung zueinander auch nach dem Tod eines Menschen in den Herzen der Angehörigen weiter leben.

Aber was bleibt, wenn da keine Kinder und Enkel sind? Wie bei meinem Mann und mir. Was wird eines Tages mein „Erbe“ sein? Wirklich nur diese Ansammlung von Dingen, die sich in unserem Haus befinden? Oder wird es auch von mir etwas Immaterielles geben, das in dieser Welt bleibt?

Es mag vermessen klingen, aber dennoch: Die Frage, ob das immaterielle Erbe eines Menschen in der Welt bleibt und wirkt, führt meine Gedanken zu Jesus von Nazareth. Der hatte ebenfalls keine Kinder. Und auch Materielles hatte er durch sein Leben in Armut wohl nicht weiterzugeben.

Trotzdem ist sehr viel „Greifbares“ von ihm in der Welt geblieben oder besser gesagt: aufgrund seines geistigen Erbes entstanden.

Zunächst einmal hat sich nach seinem Tod und seiner Auferstehung eine Weltreligion entwickelt: Das Christentum, heute vertreten durch eine ganze Reihe christlicher Konfessionen und Glaubensrichtungen.

Darüber hinaus ist der christliche Glaube zur kulturellen Grundlage des sogenannten „christlichen Abendlandes“ geworden. Mit wiederum deutlich „greifbaren“ Ergebnissen: Zeugnissen der darstellenden Kunst zum Beispiel, der Musik, Literatur und Architektur.

Regelrecht „handfeste“ Zeugnisse des Erbes Jesu hat es auch gegeben; leider. Durch falsche Auslegung seines Willens. Nämlich in Form von Kreuzzügen und kriegerischen Auseinandersetzungen.

Außerdem haben sich aus seinem „Erbe“ florierende Wirtschaftszweige entwickelt: Der Wallfahrtstourismus, der Handel mit Reliquien und Devotionalien. Dazu Klöster und Konvente, die als selbständige Unternehmen arbeiten.

Und es haben sich riesige Verwaltungsapparate entwickelt: Bistümer, Diözesen und Landeskirchen. Sie sind Arbeitgeber von Priestern und Laien geworden. Eine besondere politische Form und ein eigener Staat sind auch noch entstanden: der Vatikan.

Das ist – alles zusammengenommen – wirklich viel. Ich bin mir nicht sicher, dass alle diese Entwicklungen im Sinne Jesu sind, der sich für Wirtschaft und Politik nicht sonderlich interessierte. Eines aber sind sie mit Sicherheit: ein Hinweis auf das außerordentliche Potenzial, das in seinem geistigen Erbe steckt.

Was ist geblieben vom geistigen Erbe Jesu? Viele Menschen versuchen ja dieses geistige Erbe lebendig zu halten. Theologen ebenso wie Laien. Dazu folgen sie der Lehre Jesu – oder dem, was sie von seinem Erbe verstanden haben. Sie wollen die Spur sichtbar erhalten, die er in der Welt hinterlassen hat. Mit ihren Fußstapfen seine Spur ein Stück weiterziehen.

Aber was genau ist seine Lehre, sein geistiges Erbe? Und woran kann ich es festmachen?

Für mich glaube ich eine Antwort auf diese Frage gefunden zu haben: Das geistige Erbe Jesu ist seine Botschaft, dass Gott der Schöpfer aller Liebe ist; dass Gottes Reich ewig währt und dass sich im Glauben an ihn für den Menschen alles findet, wonach er sucht: Geborgenheit, Sicherheit – und sogar Unsterblichkeit.

Das klingt geradezu „himmlisch“. Aber für mich ist das ganz konkret und hier auf Erden erfahrbar! Mir sind ein Abglanz dieser Liebe und die Geborgenheit und Sicherheit im Glauben ganz konkret begegnet. Und zwar im Erbe meiner Großeltern – auch wenn ich sie selbst kaum oder gar nicht gekannt habe.

Aber die wenigen Erbstücke von ihnen in meinem Elternhaus weisen für mich weit über ihre materiellen Bedeutungen hinaus. Sie sind für mich Stellvertreter des immateriellen Erbes, das meine Großeltern hinterließen – quasi ihrer Lebensphilosophie.

Von meinen Großeltern mütterlicherseits ist ihr Hochzeitsbild erhalten. Es zeigt zwei junge Menschen, 21 und 23 Jahre alt, die mit Stolz und Optimismus in die Kamera blicken.

Aus Erzählungen weiß ich, dass die beiden einander tatsächlich erwählt hatten. Dass also ihre Hochzeit im Jahr 1921 wohl wirklich eine Liebesheirat war – was für das bäuerliche Umfeld, in dem sie lebten, keinesfalls selbstverständlich war.

Nach acht Kindern in 15 Jahren Ehe starb meine Großmutter im Alter von 36 Jahren. Auch wenn mein Großvater noch einmal geheiratet hat – ich glaube, er hat doch sein Leben lang um seine erste Frau getrauert.

Wenn ich heute also überlege, was ist mir von diesen Großeltern geblieben, dann kann ich sagen: Der Glaube daran, dass eine tiefe und bedingungslose Liebe zwischen Partnern und Eheleuten möglich ist; dass sie dauerhaft und stabil sein kann. Und dass diese Liebe tatsächlich stärker ist als der Tod.

Von meinen Großeltern väterlicherseits gibt es ebenfalls einen markanten Gegenstand: ihren Grabstein. Er liegt seit einigen Jahren im Garten meines Elternhauses, denn die Liegezeit des Grabes auf dem Friedhof ist längst abgelaufen.

Der Grabstein ist schlicht. Es sind nur die Namen und die Geburts- und Sterbedaten meiner Großeltern darauf zu lesen. Und darüber steht ein einziges Wort:

Credo. Ich glaube.

Credo – das Wort, das alles über das Leben meiner Großeltern Haentjes aussagt.

Es ist das Dokument ihrer Lebensmaxime, ihrer spirituellen Ausrichtung: Der Glaube an Gott, der Glaube an seine umfassende Liebe und an das Gute, das sich daraus entwickeln wird. Aus Erzählungen meines Vaters und aus einigen Briefen, die es noch gibt, weiß ich: Dieser Glaube hat ihr Dasein geprägt und sie durch die schlimmen Phasen begleitet und getragen: durch den Krieg, durch die Angst um ihre drei Söhne in dieser Zeit – und meine Großmutter schließlich durch die Trauer um ihren Mann.

Lange Zeit habe ich bedauert, meine Großeltern nicht erlebt zu haben; ihre Gesichter nur von Fotografien zu kennen und keine Erinnerungen mit ihnen verknüpfen zu können.

Heute weiß ich, dass sie dennoch tiefe Spuren in mein Leben geprägt haben. Und dass sie mir mit ihrem immateriellen Erbe große Vermächtnisse hinterlassen haben, die vielleicht mehr über sie aussagen, als sie mir in einer persönlichen Begegnung hätten mitteilen können. Mich begleitet das Gefühl, dass ihr Zeugnis der Liebe und ihr Zeugnis des Glaubens zur Stärkung meines Glaubens beigetragen haben.

Ich spüre, dass viel vom immateriellen Erbe meiner Großeltern in mir weiterlebt. Was aber wird denn von mir in dieser Welt bleiben? Möbel, Kunst und Handtaschen? Ich hoffe nicht nur!

Sondern vielleicht bleiben auch ein paar Erinnerungen meiner Nichten und Neffen und deren Kinder an schöne Momente: an gemeinsames Spielen, als sie klein waren. Oder daran, dass sich Dorothee gut in der Familiengeschichte auskannte. Vielleicht wird auch mein Rezept für Risotto noch weitergereicht.

Vor allem aber wünsche ich mir, dass man sich eines Tages von der Geisteshaltung der „alten Tante“ erzählen wird: Dass sie einen frohen Glauben hatte; dass sie auf seiner Basis ihr Leben in Zuversicht und Gottvertrauen geführt hat. Und dass es ihr ein Anliegen war, Zeugnis abzulegen und zu künden: von der allumfassenden und ewigen Liebe Gottes.

Meine Hoffnung ist, mit diesem Erbe eine Spur zu hinterlassen; eine Spur in der Welt, die letztlich zurückführt auf die Gestalt des Jesus von Nazareth.

Ich weiß, ich kann es nicht erzwingen – aber dennoch bin ich zuversichtlich und lege meinen Wunsch, wie mein Leben, in Gottes Hand.

Einen frohen Sonntag wünscht Ihnen

Dorothee Haentjes-Holländer aus Bonn!



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