Beiträge auf: wdr3
Kirche in WDR 3 | 16.01.2025 | 07:50 Uhr
Freiheit im Takt – Alles ist erlaubt?
Heute Morgen bin einfach liegen geblieben. Also ich habe mir fünf Minuten, vielleicht sogar zehn Minuten gegönnt: Ein bisschen Freiheit, die ich mir genommen habe. Ein kleines Geschenk an mich selbst. Aber dann, Sie ahnen es, kam die Rechnung.
Meine Morgenroutine ist sehr fein abgestimmt. Ich weiß genau, um wie viel Uhr ich den Knopf auf der Kaffeemaschine für meinen Cappuccino drücken muss, wann ich spätestens in die Schuhe steigen sollte und wie ich es damit schaffe, genau pünktlich auf der Arbeit zu sein. Es gibt keine Pufferzone. Alles ist genau getaktet.
Und wenn ich diesen Takt verlasse, weil ich mir im Bett ein paar Minuten extra gönne, bringt das alles durcheinander. Der Cappuccino kommt zehn Minuten später, die Schuhe werden hektisch geschnürt, und ich komme – ja, genau – zehn Minuten zu spät.
Ist das schlimm? Vielleicht nicht. Für mich fühlt es sich wie eine Kleinigkeit an. Aber dann merke ich, dass meine kleine Freiheit Folgen hat – für andere. Ein Kollege wartet auf mich, ein Termin muss verschoben werden, eine wichtige E-Mail geht zu spät raus. Für sich genommen sind das keine großen Dinge, aber für andere bedeuten sie: Ihr Tag gerät auch ein wenig aus dem Takt – weil ich mir meine Freiheit genommen habe.
Etwas allgemeiner formuliert: Meine Freiheit geht auf Kosten anderer. Zum Glück nicht immer – aber es macht mich nachdenklich: Wo hat denn meine Freiheit ihre Grenzen?
Beim Apostel Paulus im Neuen Testament gibt es dazu einen interessanten Hinweis (1. Korinther 10,23): „Alles ist erlaubt – aber nicht alles dient zum Guten.“ Paulus bringt etwas Entscheidendes auf den Punkt: Freiheit ist großartig, keine Frage. Aber Freiheit ohne Rahmen, ohne Rücksicht auf andere, kann chaotisch und sogar schädlich werden.
Und Paulus geht noch weiter. Er schreibt an einer anderen Stelle (1. Korinther 6,12): „Alles ist erlaubt – aber nichts soll Macht haben über mich.“ Hört sich verrückt an und klingt paradox, aber da ist doch was dran: Freiheit kann unfrei machen. Wie oft lasse ich mich von Dingen beherrschen, die mich eigentlich entlasten sollten oder Spaß machen? Vielleicht sind es fünf Minuten länger im Bett, vielleicht das dritte Glas Wein am Abend, vielleicht das dauernde Spielen am Handy… Die Freiheit, die ich mir genommen habe, hat mich im Griff – und nicht mehr umgekehrt.
Aber woher weiß ich, ob eine Freiheit wirklich frei macht oder nicht mich und andere beeinträchtigt? Auch hier gibt Paulus einen wertvollen Hinweis und schreibt (1. Korinther 14,1): „Strebt nach der Liebe!“. Das ist ein wichtiges Kriterium – jedenfalls für mich: Ich kann jede Freiheit, die ich mir nehme, daran messen: Ist sie ein Ausdruck von Liebe – mir und dem anderen gegenüber?
Und um auf meine zehn Minuten mehr Schlaf zurückzukommen: Heute ist Donnerstag. Und meine Freiheit länger zu schlafen bringt mitunter den Tag meiner Kollegen aus dem Takt.
Aber am Wochenende sieht das anders aus. Jede Minute mehr Schlaf macht mich sogar ausgeglichener. Und davon profitieren dann auch die Menschen um mich herum. Also dann in Ruhe noch einmal umdrehen und etwas weiterschlafen! Alles ist erlaubt – wenn es der Liebe dient.
Aus Köln grüßt Sie Gerald Mayer.