Beiträge auf: wdr4
Kirche in WDR 4 | 29.01.2025 | 08:55 Uhr
Taschenlampenzeit
Ich weiß, was mir guttut, aber ich komme so selten dazu. Kennen Sie das? Bei dem einen ist es der Sport, beim anderen morgens ruhig in den Tag zu starten. Tagebuchschreiben ist auch sowas, bei dem ich immer wieder merke: Was tut mir das gut! Und trotzdem fällt es so oft hinten rüber. Und erst recht die Gelegenheit, einfach mal so da zu sitzen. Nichts zu tun.
Ich glaube ja: Gutes Leben lässt sich nicht auf die Wochenenden und Urlaube verschieben. Auch wenn ich bei mir und auch bei anderen entdecke, dass wir dazu gerne neigen. Der größte Teil meines Lebens ist Alltag. Und da das Jahr noch jung ist, frage ich: Wie gut passt denn mein Alltag zu mir? Wie gut tut er mir denn?
Die amerikanische Autorin Bianna Wiest schreibt: „Wahre Selbstfürsorge ist nicht Schokokuchen und Badewanne. Es ist die Entscheidung dazu, sich ein Leben zu gestalten., aus dem man nicht andauern fliehen muss.“
Und ich glaube, da geht mehr, als wir manchmal denken. Als Supervisorin und Seelsorgerin arbeite ich oft mit Menschen daran, dass sie ihre Stellschrauben entdecken, um an dem zu arbeiten, was wir „Selbstfürsorge“ nennen. Und los geht es immer damit, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Und dann zusagen: Ja, diese Bedürfnisse sind berechtigt. Oft sind die nämlich verschütt gegangen im Alltagsleben, oder heruntergedimmt worden. Und dann drücke ich meinen Gesprächspartnern symbolisch die Taschenlampe in die Hand. Wir leuchten aus, diese Bedürfnisse mal strahlen zu lassen. Sei es im Job oder privat. Zuerst heißt es dann meistens „Ich kann ja nicht einfach…“ Und gar nicht selten lässt sich daran ein Fragezeichen setzen. Immer merke ich dabei: Wir verkennen unseren Möglichkeitsspielraum. Der ist häufig größer als gedacht. Und meistens braucht es dazu vor allem eins: Absprachen treffen. Zum Beispiel mit der Kollegin. Ich habe schon öfter Menschen begleitet, die einen bestimmten Bereich ihrer Arbeit unfassbar ungern gemacht haben. Zum Beispiel eine Frau, die mir sagte, dass Telefonate mit Kunden für sie eine Tortur seien. Lieber würde sie die komplette Ablage der Abteilung machen. „Geht’s ihren Kollegen auch so?“ habe ich sie gefragt. Und ein paar Fragen später wurde deutlich, dass die Kollegin, die ihr gegenübersaß, genau andersrum tickte. Sie nahm ihren Mut zusammen, sprach die Kollegin an, sie haben sich tatsächlich neu vereinbart. Beide sind sie ihre verhasste Aufgabe los. Win-Win sozusagen. Und das ist nur ein Beispiel von sehr vielen, wie sich Stellschrauben entdecken lassen, um das eigene Leben ein bisschen passender zu gestalten. Ich lege Ihnen daher jetzt mal symbolisch die Taschenlampe hin: Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Alltag dürfte sich hier und da verändern, dann leuchten Sie da doch mal hin: Was will da mehr gelebt werden? Und mit wem könnten Sie darüber verhandeln? Ah ja, kann sein, dass sie allein am Verhandlungstisch sitzen. Passiert mir jedenfalls oft, dass ich mir selbst im Weg stehe und niemand sonst.
