Nicht Verändert

Klassentreffen sind ja für viele Leute der totale Horror. Man hat Angst, dass man sich nach so ’ner langen Zeit nix mehr zu sagen hat und peinliches Schweigen herrscht, oder dass alle nur noch vom Hausbauen und Kinderkriegen reden. Immer wenn ich Leute aus meiner Schulzeit wiedersehe, dann habe ich vor allem Angst vor einem Satz: „Mensch, Ela, du hast dich ja echt gar nicht verändert!“ Jedesmal, wenn ich das höre, könnte ich schreiend weglaufen. Dabei muss ich zugeben: Rein äußerlich haben die ja recht. Wenn ich mir mein Foto in der Abizeitung von 2003 angucke, dann sehe ich zugegebenermaßen die gleiche Frau wie heute. Abgesehen von der komischen 90er-Bluse und dem braven Seitenscheitel, sehe ich tatsächlich noch fast genauso aus wie auf diesem Foto. Innerlich ist allerdings ne ganze Menge bei mir passiert in den 12 Jahren seit dem Abi: Da gab es Verluste und Trauer, ganz schön viel Rackerei und Lernerei, aber auch ’ne ganze Menge Action, Spaß und super Leute. Ich hab ’n Studium abgeschlossen, tolle Reisen gemacht, ich hab’ geheiratet und sowieso ganz schön viel erlebt. Und deswegen nervt es mich vielleicht auch so, dass man mir das alles nicht ansehen kann. Solche Erfahrungen stehen einem ja nicht auf der Stirn geschrieben. Uns Menschen sieht man ja leider nicht an, wenn wir innerlich gewachsen sind. Und wahrscheinlich ist mir das sogar auch schon rausgerutscht, dieses „Hey, hast dich ja gar nicht verändert!“ Ich glaube aber, ich nehme mir mal vor, sowas nicht mehr einfach so rauszuhauen, wenn ich Leute von früher wiedertreffe. Vielleicht sag’ ich stattdessen einfach: „Es ist total schön, dich nach so ’ner langen Zeit wiederzusehen. Was ist denn eigentlich alles bei dir so passiert?“

Ela Kornek, Münster

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