Meine Oma und ihre Freiheit

Beim Aufräumen habe ich ihn letztens wiedergefunden: ein gehäkelter Bibelspruch. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1). Der hing bei meiner Oma im Flur über der Wohnungstür. Immer, wenn man aus dem Haus ging, fiel er einem ins Auge.

Als sie starb und wir ihre Wohnung ausgeräumt haben, ist der Spruch bei mir gelandet. Ich habe nie wirklich viel darüber nachgedacht, aber jetzt lässt er mir keine Ruhe. Ich fand meine Oma toll, und irgendwie – tiefenentspannt. Obwohl sie einen Weltkrieg überlebt und zwei Männer begraben hat. Früher dachte ich, das kommt mit dem Alter. Mittlerweile glaube ich, das liegt tiefer. Oma war richtig fromm, aber nie engstirnig, sondern mit einem ganz großen und weiten Herzen und geradem Rücken.

Vielleicht hängt das mit dem Spruch zusammen. „Zur Freiheit befreit“ – vielleicht hat sie sich deswegen nicht gängeln und vereinnahmen lassen. Und vielleicht hat sie uns deswegen am liebsten das Märchen von „Hans im Glück“ erzählt, um uns beizubringen, dass wir uns nicht abhängig machen sollen von Besitz oder Geld. Der Spruch hängt jetzt über meiner Wohnungstür. Ich möchte ihn in Gedanken mitnehmen, wenn ich rausgehe. Denn manchmal habe ich das Gefühl, aus meinem Hamsterrad, aus meinem Alltag, aus den Erwartungen an mich nicht rauszukommen. Zur Freiheit hat Christus uns befreit. Danke, Oma.

Sprecher: Daniel Schneider