Mittragen

Mit das schwerste, was ich in meinem Leben tragen musste, war der Kindersarg von Noah. Es war nicht das Gewicht. Es war, dass ich da den Sohn von meinem Schulfreund mit zu dessen Grab tragen musste. Diesen Gang über den Friedhof, den werde ich mein Leben nicht vergessen. Mir kam der unendlich lang vor.

Jeder Schritt in Richtung Grab war wie gegen ein Wand laufen. Wenn so ein Kind stirbt und dann noch aus heiterem Himmel, dann kannst Du das nicht begreifen. Dann sind da so viele Fragen, Trauer und Wut zugleich. So was trägt man wie eine Wunde ein Leben lang mit sich.

Vorgestern war der Gedanke an Noah wieder da, als ich von dem Flugzeugabsturz gehört habe und vor allem von der Schulklasse aus Haltern. Bei mir lief sofort der Film ab von der Beerdigung damals und davon, wie schwer das alles war. Es gibt da noch diese Wunde.

Für die Angehörigen der Opfer der Flugzeugkatastrophe wird es irrsinnig schwer sein, die kommenden Tage und Wochen durchzustehen. Viele werden die Erinnerung an Dienstag ein Leben mittragen – und das wird immer wieder schmerzen.

Aber ich kann sagen: Mittragen ist für die Trauernden unheimlich wichtig. Jeder und jede, die den Angehörigen beim Tragen hilft – und sei das nur ein stückweit – der entlastet. Und daher bin ich dankbar für alle, die in Haltern oder sonst wo gerade einfach nur da sind für alle die, deren Leben seit vorgestern eine Wunde trägt. Heute um 10.53 Uhr kann jeder im Sektor ein klein wenig mittragen und eine Minute schweigen. Also genau zu dem Zeitpunkt, als vorgestern das letzte Signal von der Flugmaschine kam. Das ist nur ein kleines Zeichen. Aber auch so ein kleines Zeichen trägt.

Klaus Nelißen

Köln