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Kirche in 1Live | 02.04.2015 | floatend Uhr
Im Dunkeln sitzen
Marie sitzt in unserer WG am Küchentisch. Sie starrt aus dem Fenster, irgendwo auf einen Punkt hinter dem Horizont. Vielleicht sucht sie da ihre Mutter. Die ist nämlich vor zwei Wochen gestorben. Letzte Woche war die Beerdigung, und kurz drauf ist Marie wieder zurückgekommen. Seitdem gehen wir wie auf Zehenspitzen durch die Wohnung, reden leiser, weil wir Angst haben, sie zu stören.
Manchmal, beim Essen, sind wir dann wieder ganz betont lustig, lachen viel und vielleicht ein bisschen übertrieben, weil wir sie auf andere Gedanken bringen wollen.
Wie sie da so sitzt und aus dem Fenster starrt… Ich überlege einen kurzen Moment, dann setze ich mich zu Marie an den Tisch. „Hi“, sage ich. „Hi“, sagt sie, ganz leise und ohne den Blick vom Fenster zu nehmen. Dann sitzen wir nebeneinander. Keiner sagt was. Langsam geht die Sonne unter, und in der Küche wird es dunkel. Ein paar Mal will ich aufstehen, oder irgendetwas sagen, weil es anstrengend ist, einfach so zu sitzen. Aber irgendetwas macht, dass ich bleibe. Keine Ahnung, wie lange wir so sitzen.
Aber irgendwann nimmt Marie meine Hand und drückt sie. „Danke“, sagt sie leise, guckt mich aus roten, geschwollenen Augen an und lächelt ein bisschen. „Danke, dass du mit mir im Dunkeln gesessen hast.“ Dann steht sie auf und geht in ihr Zimmer.
Sprecherin: Alexa Christ
