Die Zeit heilt alle Wunden

Letzten Donnerstag hat er wieder bei mir geklingelt.

Donnerstags fährt Gott nämlich immer in die Stadt zum Einkaufen.

Und dann macht er einen Zwischenstopp.

Wir trinken eine Tasse Kaffee und reden über ihn, mich und die Welt.

„Guck mal“, sagt er und zeigt auf sein Handgelenk. „Meine neueste Errungenschaft!“

„Ne Uhr?“ frage ich verwundert. „Wozu brauchst du eine Uhr? Ich meine, du kannst doch zu jeder Zeit an jedem Ort sein, oder?“

„Ja klar“, sagt Gott. „Ich wollte nur mal probieren, wie das so ist. Also, ob sie mir Arbeit abnehmen kann.“

„Ich verstehe nicht, was du meinst.“

Gott sieht mich prüfend an. „Hast du nicht gestern deiner Freundin Carola am Telefon gesagt, dass die Zeit alle Wunden heilt? Da dachte ich mir: Das ist doch praktisch! Dann kann die Zeit mir ne Menge Arbeit abnehmen.“

Ich werde rot. Tatsächlich ist es so, dass Carola sich gestern bei mir das Herz ausschütten wollte. Liebeskummer. Aber ich hatte keine Zeit. Weil ich zu einem Termin musste. Und da kam mir dieser seltsame Spruch über die Lippen, dass die Zeit alle Wunden heilt.

„Na ja“, stammel ich verlegen, „gerade fühle ich mich so, als ob du Salz in meine Wunden streust. Ich habe nämlich sowieso schon ein schlechtes Gewissen wegen Carola.“

„Ein bisschen Salz gibt dem Leben Würze“, schmunzelt Gott. Aber du hast natürlich Recht: damit Wunden heilen können, hilft es wohl am ehesten, wenn man sich Zeit nimmt und schenkt. Für den anderen da ist. Zuhört. Vielleicht hier oder da auch mal ein bisschen anschubst. Du weißt schon, was ich meine.“ Er zwinkert mir zu. „Und ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, dass du Carola anrufst.“