Auf den Schlips getreten

Heute Morgen hat er wieder bei mir geklingelt. Donnerstags fährt Gott nämlich immer in die Stadt zum Einkaufen. Und dann macht er einen Zwischenstopp und wir reden über ihn, mich und die Welt.

„Du bist aber früh dran“, sage ich schlaftrunken, als ich ihm im Bademantel die Tür öffne. „Es ist kurz nach 6. Um diese Zeit hat doch kein Geschäft geöffnet.“

Gott schmunzelt.

„Zeit ist ein sehr relativer Begriff. Aber zum einen steht der Bäcker schon längst hinter der Ladentheke und zum anderen ist doch heute Altweiber-Donnerstag.“

„Ja und?“ frage ich gähnend.

„Na, da will ich den Vormittag nicht mit einkaufen vertrödeln, sondern feiern“, antwortet Gott.

Mir ist es noch zu früh zum Reden; ich sehe ihn nur an. Und wenn mich einer ohne Worte versteht, dann er.

„Du möchtest wissen, warum ich dich herausgeklingelt habe. Ganz einfach. Ich brauche einen Schlips von dir. Ich selbst besitze keinen. Aber gerade heute ist es mir schon wichtig, einen zu tragen.“

„Du willst also feiern“, maule ich. „Und du willst mit einer Krawatte feiern, die dir dann von irgendeiner Frau abgeschnitten wird. So weit, so eigenartig. Aber gestatte mir eine Frage: Hast du wirklich nichts Besseres zu tun? Ich meine: Karneval – das ist doch die Hölle. Und da regiert bekanntlich ein anderer.“

„Regieren ist ein gutes Stichwort“, entgegnet Gott. „Für meine Begriffe dürfte es viel häufiger geschehen, dass Männer in ihrer Macht beschnitten werden. Und außerdem: Wo immer es Menschen gelingt, gleich welchen Geschlechts… also, wo es gelingt, mit Humor gegen Missstände aufzustehen, hat die Hölle keinen Platz mehr.“

Sprecher: Daniel Schneider