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Kirche in 1Live | 02.01.2020 | floatend Uhr
Scham
Ich treffe meinen besten Freund auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn. Es gibt ein bisschen Smalltalk und als er aussteigt, bin ich stocksauer: Er hat meinen Geburtstag vergessen! Der ist heute! Er weiß genau, wie sehr ich das hasse. Und ich gratuliere ihm schließlich auch immer.
Den ganzen Tag steigere ich mich da rein. Als ich abends nach Hause komme: Überraschungsparty. Alle Freunde sind da und sogar meine Mama aus Hamburg. Organisiert hat das alles: Mein bester Freund!! Es wird ein toller Abend, aber: Ich schäme mich.
Als wir nachher aufräumen, entschuldige ich mich bei ihm. Er hat es zwar nicht mitbekommen – aber falls er es doch irgendwie gespürt haben sollte, soll er wissen: Ich bin nicht sauer. Ich schäme mich immer noch, dass ich meinen Freund verurteilt habe.
Der rät mir, mein Scham-Gefühl noch ein bisschen zu genießen. Ich schaue ihn verwirrt an. „Wir reden ja nicht so viel darüber, wenn wir uns für etwas schämen“ meint er. „aber Scham ist manchmal ja auch ein Geschenk. Zumindest eine bestimmte Form vom Schämen. Es bedeutet ja, etwas zu erkennen und einzusehen.“
Seitdem denke ich anders übers Schämen an
sich. Klar, es bleibt ein unangenehmes Gefühl und ist in vielen Situationen
auch echt nervig. Aber es zeigt auch: Wer sich schämt, der merkt, dass er
vielleicht zu weit gegangen ist und erkennt Grenzen an - von sich selbst und
von anderen. Wer sich schämt, der ist sensibel.
Sprecher: Daniel Schneider