Ungeweinte Tränen

„Ach, Karneval, das ist ja nur Party und Fröhlichsein auf Kommando“, schimpft meine Mitbewohnerin im Hausflur. Dann packt sie ihre Reisetasche und fährt zu ihren Eltern nach Ostfriesland. Während ich meine Kostüme für die nächsten Tage zusammensuche, denke ich darüber nach, was sie gesagt hat. Und mir fällt ein: Für mich ist Karneval nicht immer nur Party und Fröhlichsein.

Es gibt da diesen Punkt an fast jedem Abend. Ziemlich spät. Wenn die Tanzfläche sich leert, wenn die Musik leiser wird, melancholischer. Wenn wir feststellen, dass wir uns viel zu lange nicht gesehen haben und sowieso alles anders ist, als wir das früher gedacht haben. Wir stehen da und weinen. Einfach, weil es so schön ist. Und manchmal glaube ich: An diesen Abenden fließen viele Tränen, die das ganze Jahr über ungeweint bleiben. Weil man keine Zeit dafür hat, weil man sie unnötig oder peinlich findet.

Es gibt in der Bibel so einen Spruch, der mich immer sehr berührt: „Gott sammelt unsere Tränen in einem Krug.“ Das heißt doch: Nichts geht verloren. Keine Träne ist vergebens. Vielleicht hast Du auch viele ungeweinte Tränen in dir. Dann empfehle ich Dir: Geh heute Abend zur nächstbesten Karnevalsparty in irgendeiner Kneipe. Und bleib bis zum bitteren Ende. Und heul, was das Zeug hält. Und Gott läuft zwischen unseren Beinen hin und her und sammelt alle Tränen auf, jede Einzelne.

Sprecherin: Alexa Christ


Redaktion: Daniel Schneider