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Kirche in 1Live | 03.08.2024 | floatend Uhr
Rollstuhlblick
Meine Schwägerin hat MS. Jetzt
hat Emmie es gewagt und ist zum ersten Mal mit dem Rollstuhl zum Feiern
losgezogen. Zusammen mit ihrer Clique, die sie echt unterstützt und
zwischendurch geschoben hat.
Viele Leute hatten Emmie lange nicht gesehen und haben da überhaupt erst
erfahren, dass sie krank ist. Und die Reaktionen waren der Hammer. Aber eher so
n Vorschlaghammer. Jedenfalls haben manche meine Schwägerin ganz schön
getroffen. Das ging von vorsichtigen Nachfragen über ermutigende Worte bis hin
zu total übergriffigen Gefühlsausbrüchen. Das war für Emmie das Anstrengendste:
Wenn sie das Gefühl hatte, andere noch trösten zu müssen, weil sie im Rollstuhl
sitzt.
Super erstaunlich war, dass sie ganz viel angefasst worden ist. Und zwar von Menschen, die sie kaum kennt. Viele haben ihr die Hand auf die Schulter oder den Rücken gelegt oder sogar über den Kopf gestreichelt. Das finde ich schon bei einem Kind schräg, wenn das ungefragt passiert. Aber bei einer erwachsenen Frau?
Behindert-Sein heißt oft, dass
die Augenhöhe verloren geht. Plötzlich ist die Person im Rollstuhl irgendwie
nicht mehr gleichwertig.
Emmie muss häufig selbst für die Augenhöhe sorgen. Sie muss sehr klar sagen,
was geht und was eben nicht. Das sind manchmal richtig nervige oder
komplizierte Situationen. Klar: das macht niemand mit Absicht und das ist
sicher nicht böse gemeint, aber entsteht, weil die Leute unsicher sind…bin ich
auch manchmal.
Emmie sagt: kurz durchatmen und dann offen miteinander sprechen. Dann funktionierts auch mit der Augenhöhe. Mit und ohne Rollstuhl.
Johanna Vering, Langenberg