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Kirche in WDR 2 | 26.06.2025 | 05:55 Uhr
Disclaimer
So wütend habe ich meine beste Freundin schon lange nicht mehr gesehen. „Das sind Kindheitserinnerungen …“, schimpft sie, „… man darf aber auch wirklich gar nichts mehr sagen. Die sagen jetzt vor jedem Hörspiel, dass da was drin vorkommen kann, was verletzend ist. Meine Kinderhörspiele: sexistisch und rassistisch? L-ä-c-h-e-r-l-i-c-h!“
Langsam dämmert es mir. Tatsächlich haben Label wie Europa jetzt Disclaimer vor alten Hörspielen wie den „Fünf Freunden“ von Enid Blyton. Sinngemäß heißt es da: „Dieses Hörspiel ist ein Produkt seiner Zeit. Daher kann es teilweise diskriminierende Darstellungen enthalten, die damals in der Gesellschaft zu wenig in Frage gestellt wurden.“ Meine Freundin ist wütend und ich bin erschrocken. Denn: Diese ganze „Man darf ja nichts mehr sagen“-Kultur, die begegnet mir an vielen Orten. Im Internet. In der Kirchengemeinde. In der Familie. Meistens schaffe ich es, freundlich zu bleiben und zu sagen: „Klar kannst Du Deine Meinung sagen. Aber Du musst damit leben, dass Du eine Antwort bekommst.“ Bei meiner Freundin fällt mir das jetzt aber gar nicht so leicht. Ich denke einen Moment nach.
In Artikel 5 unseres Grundgesetzes heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. “ Und auch meine Kirche gibt mir keinen Maulkorb – ganz im Gegenteil: Haltung zeigen ist meiner Kirche wichtig. Und auch mir. Sich für Menschen und ihre Rechte stark machen. Grenzen hat das Ganze allerdings bei Hass und Hetze. Sagt auch das Grundgesetz. Sinngemäß heißt es da, dass man nichts sagen und verbreiten darf, dass Menschen dazu veranlasst, anderen Menschen Schaden zuzufügen.
All das erzähle ich meiner Freundin. So richtig überzeugt ist sie nicht: „Wem schadet denn ein Fünf-Freunde-Hörspiel zum Einschlafen nach einem langen Arbeitstag.“ „Naja, sage ich, die Verbrecher, denen die fünf als Kinderdetektive auf der Spur sind, kommen meistens aus marginalisierten Gruppen. Das Z-Wort kommt vor und die Mädchen fahren Bus, während die Jungen anstrengende Fahrradtouren machen dürfen ... .“
„Und das ist jetzt alles falsch und ich darf das nicht mehr hören, oder was?“ „Doch, Du darfst das hören. Aber der Disclaimer will Dir klarmachen, dass vieles von dem, das Du da hörst, Menschen verletzt und ein Bild von Menschen fördert, das weniger bunt und divers ist, als wir es gern‘ hätten.“ „Du findest so Hinweise also gut?“ „Ja!“, sage ich entschieden. „Ich finde das richtig gut!“
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius