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Hörmal | 15.06.2025 | 07:45 Uhr
Verwirf mich nicht im Alter...
Willst Du wirklich alt werden? Die Frage hab ich mir gestellt, als ich vor genau 2 Wochen im Krankenhaus lag. Urologie in einem Kölner Krankenhaus. 8. Etage. Die Aussicht über Köln war wunderbar – keine Frage. Und mein Leiden war zwar schmerzhaft, jedoch in Maßen.
Aber: ich habe auf der Etage andere Menschen gesehen, die viel mehr gelitten haben. Die z.T. noch nicht mal mehr Worte finden konnten für das, was ihr Gebrechen war. Weil sie schon zu alt waren, vielleicht zu dement? Wie auch immer: Ich hatte mich da gefragt: Willst Du wirklich alt werden? Und zugleich hätte ich mir für diese Frage in den Hintern treten können. Denn das ist schon eine ziemliche Luxus-Frage. Ich will jetzt gar nicht in so einen Tonfall kommen wie „Nur die Harten kommen in den Garten“ – aber: ich habe großen Respekt vor Menschen, die in hohem Alter ihr Leben meistern.
Ich denke z.B. an Herrn S. einen treuen Hörer von Kirche im WDR. Wir telefonieren hin und wieder. Er geht stramm auf die 90 zu, lebt seit Jahren mit einem künstlichen Darmausgang. Zweimal habe ich ihn schon in seinem Altenheim besucht, das auf dem Weg zu meiner Mutter am Niederrhein liegt. Herr S. ist gebrechlich. Und ja: Er erzählt von seinen Gebrechen immer, wenn wir telefonieren. Aber er sagt jedes Mal, wenn ich ihn anrufe „Wie schön, Ihre Stimme zu hören“. Und dann erzählt er von seiner Kindheit, von der Flucht im 2. Weltkrieg. Er erzählt von seinem Leben als leitender Vertreter einer großen Küchenmaschinen-Firma. Wen Herr S. alles gekannt hat! Ich staune immer wieder. In seinem Pflegeheim will davon scheinbar keiner etwas hören. Immer wieder sagt er „ich halte das hier nur durch mit meinem rheinisch-katholischen Naturell“ – und dann ringt er sich meistens einen Witz ab.
Ja: Alt-Werden ist nichts für Anfänger. Aber: Das Alter zu schätzen – das wäre doch mal was für unsere Gesellschaft! Es gibt Regionen und Kulturen, die schätzen das Alter sehr: Japan z.B. Da sieht man in alten Menschen das geronnene Leben, deren Weisheit. In unseren Regionen regiert die Jugendlichkeit. Hier versuchen alle, möglichst lange frisch zu wirken. „50 ist das neue 30“ – und so weiter. Aber wer sieht schon in der alten Frau, die mit ihrem Rollator den Buseinstieg blockiert die junge Frau, die auch sie mal war? Vielleicht war sie Reisefotografin? Vielleicht Kernphysikerin? Vielleicht hat sie die besten Tomaten gezüchtet weit und breit? Wer weiß das schon? Das weiß diese Frau mit Rollator! Und wenn wir uns etwas mehr Zeit nehmen würden, sie zu fragen – sie und die vielen älteren Menschen, die uns umgeben, dann wäre deren Leben etwas weniger einsam und abgeschnitten von der „hippen“, „jugendwahnsinnigen“ Welt, in der wir „tiktokend“ leben.
„Verwirf mich nicht in meinem Alter; verlass mich nicht, wenn ich schwach werde“, betet schon der 71. Psalm in der Bibel (Ps 71,9). Meine Angst vorm Alt-Werden kreist wohl genau darum: Verworfen zu werden. Dagegen kann ich später nur bedingt etwas tun. Aber jetzt kann ich etwas tun, dass es anderen Menschen, die alt sind, nicht so ergeht. Heute ist der Welttag gegen Diskriminierung älterer Menschen.
Hinsehen, ein Ohr schenken – und Zeit: Das sind wohl die ersten Schritte, damit alte Menschen sich nicht verworfen und verlassen fühlen, wenn sie schwach geworden sind.