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Kirche in WDR 2 | 02.06.2015 | 05:55 Uhr
Original
Alles ist Retro. Der Trend scheint ungebrochen. Ich kann die Orangenlimonade wieder in braunen Flaschen mit Rillen kaufen, etliche Cafés setzen auf Flohmarktmöbel und Butterbrote, beim Fleischkonsum geht es langsam zurück zum guten alten Sonntagsbraten, Schrebergärtenvereine werden von jungen Familien überrollt, und Fotos werden zwar mit dem neuesten Handy geschossen – aber dann mit einem Filter überzogen, der sie aussehen lässt, als wären sie gerade auf dem Dachboden ausgegraben worden.
Hier drückt sich eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit aus, als die Möglichkeiten noch begrenzter waren und Vieles scheinbar mehr Wert hatte: Elektrogeräte wurden repariert, Socken gestopft, Kuchen selbst gebacken und Gemüse frisch geerntet.
Keiner will wohl wirklich so leben wie zu Großmutters Zeiten. Wer will sich schon das Leben künstlich schwer machen und die teure
Jeans mit dem Waschbrett sauber schrubben?
Der Wunsch dahinter: der Schnelllebigkeit etwas entgegensetzen. Aussteigen aus diesem Leben von Wegwerfprodukten und Zeitarbeitsverträgen. Nicht, dass wir am Ende selbst Wegwerfprodukte werden! Jeder Mensch möchte einen Unterschied machen. Mein Da-Sein soll einen Wert haben. Es soll auch auf mich ankommen.
Vermutlich wird auch deshalb wieder so viel genäht, gebacken und gestrickt: So entstehen lauter Unikate, hergestellt von Unikaten. Aber es ist wie so oft: Was schön angefangen hat, entwickelt sich langsam zum nächsten Stressfaktor: Individualitätsstress sozusagen. Und daher: liebe Unikate, die Ihr Euch gerade plagt, besonders originell zu sein: Ich glaube daran, dass jedem Menschen seine Einzigartigkeit in die Wiege gelegt wurde. Die müssen wir nicht herbeistricken – die ist uns geschenkt. Kein Mensch ist ein Wegwerfprodukt, sondern ein erfüllter Wunsch. Wer sich daran erinnert, der ist auch auf eine Weise retro: kann aber entspannt sein. Unsere Einzigartigkeit besteht auch mit mit gekauftem Kuchen und Möbeln vom schwedischen Händler. All das kann meiner Originalität nichts anhaben. Ich darf die Stricknadeln wieder fallen lassen. Gott sei Dank.
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