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Hörmal | 16.10.2016 | 07:45 Uhr
Wie bekommt Gott gnädige Menschen?
Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? hat Martin Luther gefragt. Muss ich besonders fromm oder besonders gut sein, damit ich Gnade finde bei Gott? Ein ziemlich altes Problem. Wie bekommt Gott gnädige Menschen? Das ist momentan wohl eher die Frage.
Da sind gnadenlose Geschäftemacher, streitende Ehepartner, prügelnde Links- und Rechtsautonome, Männerhorden, die Frauen als Freiwild betrachten, Politiker, die Europas Außengrenzen gegen Hilfesuchende abschotten, dazu gnadenlos schwadronierende AFD- und Pegida-Anhänger. „Wo kommt diese unglaubliche Kälte her?“, fragt der aus Dresden stammende Dichter Durs Grünbein mit Bezug auf die ausländerfeindlichen Kundgebungen in seiner Heimat: Da sind ältere Frauen dabei, die mal Mütter waren. Warum haben sie kein Mitleid, wenigstens mit den Kindern?
Empathiearmut nennen das die Psychologen. Menschen können sich dann schwer in andere hineinversetzen und zeigen wenig Mitgefühl. Das wird immer mehr zu einem Problem in unserer Gesellschaft. Die Hemmschwelle, anderen Menschen Böses zu tun, wird immer niedriger. Das zeigen die Gewaltexzesse der Kölner Silvesternacht, die zunehmende Brutalität bei Raubüberfällen sowie die Anschläge auf Asylunterkünfte. Leider ist der Weg von verbalen Ausbrüchen zu gewalttätigen Attacken nicht weit. Dahinter steckt oft die Angst, selber zu kurz zu kommen, das Gefühl, benachteiligt zu sein, und daraus resultierend die Lust an der Macht/die Lust, über andere Macht auszuüben.
Gewalttäter gehören bestraft, wes Geistes Kind und welcher Herkunft sie auch sind. Gewalt hat Folgen, vor Gericht wird nach Recht und Gesetz geurteilt, da gibt es keine Gnade. Aber von Gott heißt es, dass er jedem Menschen gnädig ist, Opfern wie Tätern. Eine Zumutung, die nicht leicht daherkommt! Aber ohne sie ist der christliche Glaube nicht zu haben. Dafür steht Jesus, dafür hat er sich hingegeben. Noch am Kreuz hat er für seine Folterer um Vergebung gebeten. Ihnen wie jedem von uns gilt die Zusage: Egal, was in deinem Leben war und was sein wird, keine Macht der Welt kann dich trennen von der Liebe Gottes, von seiner Gnade.
Seid barmherzig wie Gott, euer Vater barmherzig ist, so hat es Jesus gesagt. Ein Satz vor allem für die Gnaden- und Gefühlslosen, eine Aufforderung, die uns verändern wird, wenn wir sie uns zu Herzen nehmen, denn sie besagt:
In den Augen Gottes bist Du unendlich viel wert – wie jeder Mensch. Darum achte den Wert eines jeden anderen. Wenn Du beginnst, andere mit den Augen Gottes zu sehen, wirst Du ihnen dasselbe gönnen, das er Dir gibt. Sei barmherzig mit anderen, wie der Vater im Himmel mit Dir barmherzig ist. So wird dein Mitgefühl in dir wachsen.
Und da das Herz nicht ohne den Verstand ist, das Fühlen vom Denken nicht zu trennen, nimm dir am besten einen weiteren Satz zur Lebensregel, der auch von Jesus stammt und der dich verbindet mit vielen Menschen, Religionen und Kulturen in der ganzen Welt: „So wie Ihr von den Menschen behandelt werden möchtet, so behandelt sie auch“.
Kein leichtes aber ein wichtiges und schönes Lernprogramm. Vielleicht bekommt Gott sie ja doch noch: die gnädigen Menschen, die Hass und Gewalt nicht mehr brauchen.
Sprecher: Pfarrer Titus Reinmuth