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Kirche in WDR 2 | 24.12.2016 | 05:55 Uhr
Offene Türen
Heute vor einem Jahr hatte ich morgens den Schock meines Lebens. Kurz nach dem Aufwachen fällt mir ein, dass mein „Hauptgeschenk“ für meinen Mann noch fehlt. Ich hatte Konzertkarten bestellt. Eigentlich schon vor ein paar Wochen, aber entgegengenommen habe ich sie noch nicht.
Ich springe also aus dem Bett, gehe beim Zähneputzen in Gedanken die anderen Geschenke durch, die ich auch noch für ihn habe…zwei nette Kleinigkeiten. Aber ich brauche definitiv die Tickets für seine Lieblingsband - ohne die geht es nicht. Ich checke den Briefkasten - nichts. Auch in meinem Account ist keine Nachricht, dass sie nicht zugestellt werden konnten. Komisch.
Nach dem Frühstück klingele ich also bei unseren Nachbarn, frage nach dem Briefumschlag der Konzertfirma, doch sie haben nichts für mich. Wahrscheinlich wirke ich etwas verzweifelt, jedenfalls sitze ich plötzlich an ihrem Frühstückstisch und trinke einen Tee mit ihnen. Wir quatschen nett, lachen und als ich gehe, bin ich nicht mehr so sorgenvoll.
Weiter zur nächsten Tür, zu den Nachbarn gegenüber. Sie freuen sich, mich zu sehen, ich soll kurz reinkommen, denn ihre kleine Tochter möchte mir unbedingt etwas auf ihrer Flöte vorspielen. Ich stehe in der Tür, Lena spielt und plötzlich singen wir gemeinsam „Alle Jahre wieder“. Aber einen Brief, den haben sie leider nicht für mich. Hm, ok. Nächstes Haus.
Zu den Nachbarn, mit denen wir sonst nicht so viel reden, außer
„Hallo“ und „Schönen Abend noch“. Für mehr ist irgendwie nie Zeit. Wir sind eben nicht befreundet. Auch die sind, trotz Weihnachten, entspannt an diesem Morgen.
Wir stehen in ihrem Vorgarten und unterhalten uns übers Schenken, den Heiligabend-Gottesdienst und dass die Weihnachtszeit es immer wieder schafft, einen zu verzaubern – mal mehr, mal weniger. Ein schönes und erhellendes Gespräch. Ich wusste gar nicht, dass sie Christen sind. Aber: immer noch keine Konzertkarten in Sicht!
Dieses Erlebnis ist jetzt ein Jahr her und die Tickets sind tatsächlich nicht aufgetaucht. Keine Ahnung, wo sie geblieben sind. Irgendwann habe ich aufgehört, mich über den Verlust zu ärgern. Aber die Geschichte haben mein Mann und ich uns seitdem immer mal wieder erzählt. Sie ist in die Kategorie der „Weißt du noch…“ – Geschichten aufgenommen und hat uns mehrere Male zum Lachen gebracht.
Wenn ich heute darüber nachdenke, kommt es mir vor, als hätte ich da die Weihnachtsgeschichte nacherlebt. Dieses „von Tür zu Tür gehen“, um Hilfe bitten, erinnert mich an Maria und Josef, die auf der Suche nach einer Herberge sind und die zunächst vor verschlossenen Türen stehen. Ich hatte das Glück, dass mir die Türen aufgemacht wurden. Es haben sich unerwartete, ja sogar verblüffende Gespräche ergeben, mit Menschen, die in meiner Nähe leben, aber die ich nicht richtig kenne. Auch wenn ich mein Geschenk nicht gefunden habe, habe ich an diesem Morgen andere Dinge geschenkt bekommen.
Ich wünsche mir, dass sich an Weihnachten für viele Menschen Türen öffnen, so wie es bei Jesus´ Geburt geschehen ist. Dass wir uns einladen, in Frieden zusammenkommen und das Leben miteinander feiern. Und ich wünsche mir, dass Weihnachten Herzen öffnet. Dass wir weicher werden, zarter vielleicht, so wie das Kind in der Krippe, zu uns selbst und zu unseren Nächsten.