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Hörmal | 25.12.2017 | 07:45 Uhr
Frau Stärke
Frau Stärke hatte nicht nur starke Argumente, sondern auch einen starken Willen. Wer was anderes wollte als Frau Stärke hatte es schwer.
Aber wer das Gleiche wollte wie sie, der hatte es so richtig leicht. Denn sie jammerte nicht, sie machte. Sie fragte nicht, sie wusste. Sie verschob nichts, sie erledigte.
Frau Stärke war natürlich auch mal schwach. Aber dann war sie stark darin, sich Hilfe zu organisieren. Frau Stärke hatte einen Putzfrau, einen Coach, eine Psychologin und wenn es gar nicht mehr ging, „gute Tabletten“. Wenn sie davon erzählte, dann schauten ihre Bekannten sie bewundernd an: „Echt stark, wie du von deinen Schwächen erzählst. Ich würde mich das nie trauen.“
Als Frau Stärke ihrer Mutter ihren Tablettenkonsum beichtete, empfahl die ihr ihren eigenen Therapeuten und fand sie undankbar, als Frau Stärke darauf sagte, sie hätte doch schon eine Psychologin und stumm aus der Tür ging. Rein in die Stadt. Über den Weihnachtsmarkt, erst um die Kirche herum und dann mitten rein. Und sich auf eine der Bänke setzte. Als sie den Blick hob, da sah sie Maria. Schön und aufrecht, stark, blau und gold war ihre Statur. Frau Stärke sah Maria an und murmelte leise in sich hinein:
„Was hat dich so stark gemacht?“
Sie erschrak, als eine Stimme antwortete:
„Sie war nicht allein, jemand wusste, wie es ihr ging.“
Es war die Stimme einer älteren Frau hinter ihr in der Kirchenbank. Frau Stärke hörte wie es raschelte, das dünne Papier einer Bibel. Die ältere Frau las:
„Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und …. begrüßte [ihre alte Tante] Elisabeth, [die auch unerklärlich schwanger geworden war wie sie.] Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut zu Maria: Gelobt seist du unter den Frauen, und gelobt sei die Frucht deines Leibes!
…Und selig bist du, die du geglaubt hast!“
Frau Stärke drehte sich um zu der alten Dame, die ihr die Verse vorgelesen hatte.
„Ich war schon hier, bevor Sie kamen, ich wollte Sie nicht stören“, sagte die hastig, „aber, darf ich fragen: In welchen Umständen sind Sie?“
Frau Stärke sah sie an: „Ich bin manchmal so schwach und so allein und keiner will es mir glauben, ich mir selbst auch nicht.“
„Ach ja, es ist doch nichts als Küchenspsychologie“, die alte Dame seufzte. „Alle wissen es, niemand will es wahrhaben. Wir brauchen alle eine Elisabeth, die uns versteht. Und Schutz gibt, und uns lobt, für das, was in uns ist.“
Frau Stärke lächelte, stand auf, zündete eine Kerze an und sagte. „Gott, ich brauche eine Elisabeth, nur eine und ich kann stark sein und schwach und gesund.“ Und ging wieder heraus aus der Kirche und hielt die Augen offen.