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Kirche in WDR 2 | 03.03.2014 | 05:55 Uhr
Karneval ist Widerspruch
Karneval ist Samba und brasilianischer Hochsommer. Lustvoller Tanz im heißen Rhythmus. Vibrierende Sinnlichkeit in den Straßen von Rio. Karneval ist aber auch die träumerische Magie in den Gassen des winterlichen Venedig. Sehnsucht nach der untergegangenen Welt des Adels und seiner Feste. Karneval ist Prunksitzung und Rosenmontagszug, Uniform und Politsatire, rheinischer Frohsinn. Und im Südwesten Deutschlands ist Karneval die Fasnet. Das wilde, unheimliche Spiel gegen den Tod und die dunklen Geister der Natur.
Jede Gegend hat ihren eigenen Karneval. Und jede Stadt legt ihre eigene Seele hinein. Ihre Sehnsüchte und ihre Geschichte. Überall Masken, Spiel und Tanz. Immer verschieden, doch in einem gleich: Nirgendwo ist Karneval bloß platter Frohsinn oder ungetrübte Lebensfreude. Immer gibt es etwas Dunkles, das den Hintergrund bildet.
In Rio ist es die Armut. Der Alltag der Armenviertel und der Straßenkinder. Der Karneval stellt diese Welt auf den Kopf: Ein paar Tage lang feiern verdrängt die Sorge ums Überleben. Tanz statt Erstarrung. Ich glaube, hier soll nicht einfach der Alltag vergessen werden. Im Gegenteil: Es geht darum, die Schönheit des Lebens nicht zu vergessen. Wer feiert kann spüren, wie schön das Leben ist. Und er kann die Erinnerung daran mit in den Alltag hineinnehmen. In Rio protestiert der Karneval gegen die Armut. In Venedig gegen die Melancholie. Und im Rheinland gegen die Politik.
Ganz unbrasilianisch geht es dagegen im Alemannischen zu. Auch bei der Fasnet. Hexengestalten statt Sambaköniginnen. Winterregen statt Sommerhitze. Und dunkler Trommelschlag statt vibrierender Rhythmen. Das Dunkle, gegen das sich der Karnevalszug richtet, ist hier ganz unmittelbar zu spüren. Es ist das Dunkel des Winters. Lange Nächte. Kälte. Die Natur ist erstorben, die Bäume sind kahl, keine Pflanze blüht. Lebensfeindliche Kräfte lähmen die Natur. Ist es ein Wunder, dass weniger aufgeklärte Zeiten hier böse Geister am Werk sahen?
Doch damit geht es jetzt zu Ende. Die Tage werden länger. Die Luft erwärmt sich. Die Knospen bereiten sich auf den Frühling vor. Im Karneval wird dieses neue Leben gefeiert. Daran ändern auch die schaurigen Kostüme nichts. Im Gegenteil: Der Fasnetszug soll die negativen Kräfte vertreiben und vom erwachenden Leben fern halten. Auch hier ist der Karneval der Widerspruch des Lebens gegen den Tod und die Angst.
Karneval ist ein Vorbote des Osterfestes. Zu Karneval ist alles noch in der Schwebe: Können sich die ersten warmen Sonnenstrahlen durchsetzen? Oder wird der Winter noch einmal einbrechen? Zu Ostern wird dann sichtbar: Der Winter ist am Ende. Das gilt auch in einem viel tieferen Sinn. Die Rituale der Fastnacht bringen eine Sehnsucht zum Ausdruck. Die Sehnsucht, dass sich das Leben durchsetzt gegen den Tod. Zu Ostern ist diese Sehnsucht in Erfüllung gegangen. Jesus ist von den Toten auferstanden. Er hat ein neues Leben begonnen, ein Leben, das stärker ist als der Tod.