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Kirche in WDR 2 | 13.11.2018 | 05:55 Uhr
Allen das Gleiche
„Das ist aber ungerecht!“ Dieser Spruch kommt mir bekannt vor – schon aus dem Kindergarten. Wenn der eine etwas bekam, was der andere nicht hatte. Dann war das ungerecht. Dann wurde ein Ausgleich gefordert. In der Familie war es ähnlich: Alles musste gerecht aufgeteilt werden, vom Schnitzel über den Kuchen bis zur geplanten Größe des jeweiligen Kinder- oder Jugendzimmers. Gerecht war, wenn alle das Gleiche bekamen.
Was ist gerecht? Allen das Gleiche oder jedem das Seine? Allen das Gleiche – das wäre Kommunismus. Und der hat ja bekanntlich noch nie funktioniert. In der Bibel lese ich, dass die Apostel alles gemeinsam hatten. Dort heißt es: „Alle bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt“ (Apg 2,44.47). Heute weiß man: Auch dieser so genannte Liebes-Kommunismus war nur ein Ideal. Funktioniert hat er zu keiner Zeit. Auch nicht bei den Christen.
Allen das Gleiche – das ist wohl nicht realistisch. Und auch nicht gut. Dann müsste nämlich jeder den gleichen Lebensstil haben, die gleichen Interessen. Den Kommunismus gibt es ja heute auch nur noch auf dem Papier. In der DDR gab es zu viele, die eben gleicher waren als andere. In Russland herrscht heute eine Oligarchie, da ist nicht viel geblieben vom Sozialismus. China setzt auf einen rücksichtslosen Kapitalismus unter dem Deckmäntelchen einer Volkspartei.
Also nicht allen das Gleiche, sondern jedem das Seine. Das klingt realistischer. Ist aber dafür auch weniger verbindlich. Denn damit können sich manche reichen Halsabschneider ein gutes Gewissen einreden. Und sagen: Jedem das Seine, mir das Meiste. Ist eben meine Art zu leben. Sollen die anderen doch sehen, wo sie bleiben. Wenn sie das Ihre wollen, müssen sie sich eben anstrengen, der Rest ist Schicksal.
Gerechtigkeit ist also gar nicht so einfach. Einen Ausgleich zu schaffen – bei Einkommen und Rente, in der Rechtsprechung, im Bildungssystem, am Arbeitsmarkt. Soziale Gerechtigkeit – das hört sich gut an. Doch wie klappt das in der Realität? Soll der Staat in die Marktwirtschaft eingreifen, oder überlassen wir sie dem freien Spiel der Kräfte? Dann gibt es wenige Gewinner und viele Verlierer. Und was tun wir mit den Superreichen, die einen Großteil des Weltkapitals horten? Wie sieht es aus mit den Steuern, die der so genannte kleine Mann zahlt – und sicherlich auch die kleine Frau –, um die sich aber große Weltkonzerne herumdrücken? Schließlich steht die Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit auf dem Prüfstand. Mehr Fragen als Antworten, mag sein. Aber irgendwo muss man ja anfangen.