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Kirche in WDR 2 | 02.05.2020 | 05:55 Uhr
Pilgern in Corona-Zeiten
Eigentlich pilgern die Katholiken jetzt wieder. Die Wallfahrtsaison 2020 läuft an, allerdings in Corona-Zeiten eher verhalten. In normalen Jahren sind in Deutschland einige Millionen Menschen als Pilger unterwegs, im Bistum Münster zum Beispiel nach Kevelaer. In diesem Jahr sind größere Wallfahrten abgesagt, etwa die von Osnabrück nach Telgte. Das bringt manche derjenigen, die regelmäßig als Pilger unterwegs sind, auf neue Ideen. So auch Ina Germes-Dohmen aus Kempen am Niederrhein:
"Ich merke aktuell in diesem Jahr, wo wegen der Corona Krise die Wallfahrt nach Trier für alle unsere Bruderschaften abgesagt worden ist, dass wir das also wirklich vermissen, dass uns diese Auszeit, dieses gemeinsam auf den Weg gehen und sich wirklich rausnehmen, uns fehlen wird. Und das war einer der Gründe, weshalb ich dachte: Nun ja, wenn ich nicht mit anderen gemeinsam nach Trier kann, dann gehe ich wenigstens allein nach Kevelaer."
Wenn sie pilgert, möchte Ina Germes-Dohmen Schritt für Schritt in Gottes Schöpfung unterwegs sein und in der Langsamkeit wahrnehmen, was sich ihren Sinnen bietet. Aber alleine auf dem Weg zum Wallfahrtsort – das ist schon anders. Als Solopilgerin singt die 57-jährige unterwegs keine Marienlieder. Und auch der Rosenkranz spielt dieses Mal keine Rolle.
"Ich pilgere jetzt nicht und bete die ganze Zeit für mich allein den Rosenkranz. Sondern es ist eigentlich eher ein inneres Gespräch, um mit mir und auch mit meinem Gott in ein Gespräch zu kommen und mich aus dem Alltag heraus zu nehmen."
Dass sie bei ihrem diesjährigen Alleingang ihre Gedanken bis zum Ende durchdenken kann, sieht die promovierte Historikerin als Vorteil. Kein Gespräch kann sie ablenken, auch keine von der Gruppe vorgegebene Pause. In ihren Augen hat das alleine-Pilgern aber auch seine Kehrseiten:
"Es hat den Nachteil, dass man erstens nur auf sich geworfen ist und sich selbst zum Mittelpunkt allen Denkens macht und nicht die Probleme oder auch größeren oder kleineren Erlebnisse der anderen miterlebt, die einen ja auch teilweise tragen. In den letzten Kilometern, die ja bei jeder Tagesetappe besonders hart sind, helfen ja auch die Erzählungen der anderen, dass man einfach weiterkommt. Sie tragen einen, ohne dass sie einen in den Arm nehmen. Und das hat man, wenn man allein ist, nicht, muss also ganz allein sich quasi disziplinieren und durchwandern."
Genau diese selbstgewählte Grenzüberschreitung ist für Ina Germes-Dohmen der dritte Grund zum Pilgern – neben den persönlichen und religiösen Motiven. Normalerweise ist dann das Erreichen des Zielorts ein Höhepunkt ihrer Pilger-Tour: Herausforderung bewältigt. Dieses Mal war die Ankunft in Kevelaer ziemlich speziell, weil wegen Corona noch fast alles geschlossen war:
"Das war dieses Jahr übrigens besonders seltsam, weil man ganz allein dort war und auch der Kapellenplatz nahezu leer war. Das ist schon seltsam, wenn man diesen sonst so belebten Platz und diese belebte Stadt so leer erlebt. Und ohne Gottesdienste und so. Das war schon eine bemerkenswerte Erfahrung."
Sich immer wieder für einen Tag oder auch für ein paar Tage zu Fuß auf den Weg zu machen, ist etwas, worauf Ina Germes-Dohmen nicht verzichten möchte. Diese Auszeit tut ihr gut und gibt ihr Impulse und Kraft für den Alltag, der sich anschließt. Auch weil sie unterwegs Antworten auf Fragen findet, die sonst oft unbearbeitet bleiben.
"Was ich einfach nur empfehlen kann, vielleicht sich auch eine Frage stellen: Was im eigenen Leben vielleicht nicht so rund läuft, weil man immer unter Zeitdruck ist, weil man zu viele Sachen gleichzeitig machen will, weil man bestimmte Sachen nicht erledigt bekommt. Da kann man an einem Tag auf 30, 35 waren es jetzt, Kilometer, hat man schon Zeit, darüber nachzudenken."
Ina Germes-Dohmen ist absolut überzeugt: Pilgern oder Wallfahren ist eine gute Sache. Für fast jeden. Nur für Alleinpilger formuliert sie eine Voraussetzung.
"Ich kann es nur jedem empfehlen. Er sollte sich nur ein bisschen einschätzen können. Wer ganz allein auf Tour ist und zwischendurch wirklich gar nicht mehr kann, der muss schon wissen, wo er steckt, um sich abholen zu lassen, wenn er gar nicht mehr kann."