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Hörmal | 15.11.2020 | 07:45 Uhr
Nur für heute
Heute beginnt die ARD-Themenwoche. Und im Raum steht dabei eine Frage: "Wie wollen wir leben?" Da geht es um die Gestaltung unserer Zukunft. Und ich war offen gestanden etwas verwundert als ich auf der Homepage zur Themenwoche als erstes folgenden Satz las: "Zukunft: Braucht die jemand oder kann die weg?" Das klingt schon ziemlich düster. Und vielleicht ist das der Soundtrack dieser Zeit: Es ist November, da ist es eh schon draußen düster. Und auch sonst zogen zuletzt "schwarz die Wolken nieder". Ich sage nur: Corona, Klimawandel, Weltpolitik. Wobei es sich ja da etwas aufhellt, wenn ich auf das Thema US-Wahl und Impfstoff schaue. Was aber braucht es, damit da nicht nur Silberstreifen für die Zukunft zu sehen sind, sondern damit sich was tut, in der Art, wie wir leben?
Je länger ich über das
Ganze nachgedacht habe, umso mehr dachte ich an
zwei Texte, die auf diese Situation passen wie Topf auf Deckel. Beide
Texte haben mich als Theologen geprägt. Beide sind schon bald 60 Jahre alt.
Beide stammen von ein und derselben Person, nämlich von Papst Johannes XXIII.
Der war damals über 80 und hätte sich eigentlich über Zukunft keine Gedanken
mehr machen müssen. Schlimmer noch: Er wusste von seinem Krebs und vielleicht
wusste er auch, dass er nicht mehr lange leben würde. Trotzdem: Johannes XXIIII
hat die Fenster seiner Kirche weit aufgerissen die Bischöfe der Welt zu einer
Generalversammlung zusammengerufen, zu einem Konzil. Und am 11. Oktober 1962
hielt er mitten im Petersdom vor 2.500 Bischöfen und 1.200 Journalisten eine
Rede, die um die Welt gegangen ist. Und die hat verdammt viel mit dieser
ARD-Themenwoche zu tun also mit der Frage: "Wie wollen wir leben?"
Papst Johannes XXIII
spricht in seiner Ansprache über "betrübliche Stimmen (...), die zwar von
großem Eifer zeugen, doch nicht von übermäßigem Sinn für Klugheit und für das
rechte Maß." Und er wird deutlicher: "Sie sehen in den modernen
Zeiten nur Unrecht und Niedergang. Sie sagen ständig, unsere Zeit habe sich im
Vergleich zur Vergangenheit dauernd zum schlechteren gewandelt. (...)“ Und dann
sagt der Papst– auf eine, wie ich finde ziemlich lässige Art: „Wir aber sind
völlig anderer Meinung als diese Unglückspropheten, die immer das Unheil
voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergang stünde.“
Wie wollen wir also leben?
Dieser Ü80-Mann ruft
aus dem Petersdom:
etwas optimistischer! Genau das ist es: Das wünsche ich mir mehr zu hören in
diesen Tagen! Und jetzt könnten Sie sich fragen: Klingt ja schön und gut – aber
was bedeutet das konkret? Nun – hier kommt der zweite Text ins Spiel. Auch von
Johannes XXIII. Nämlich seine sogenannten „10 Gebote der Gelassenheit“. Die
sind ganz persönlich, ganz handfest - überraschend konkret für einen Papst.
Und weil die Zeit jetzt
nicht mehr reicht, alle 10 aufzusagen, habe ich meine Top 5 ausgewählt. Und die
gehen so:
„Nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben, ohne alle Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.
Nur für heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne zu verlangen, dass sich die Umstände an meine Wünsche anpassen.
Nur für heute werde ich eine gute Tat vollbringen. Und ich werde sie niemandem erzählen.
Nur für heute werde ich
etwas tun, wozu ich keine Lust habe.
Nur für heute will ich keine Angst haben. Ganz besonders nicht davor, mich an allem zu freuen, was schön ist – und an die Liebe zu glauben.“
"Wie wollen wir leben?" Johannes XXIII. war ein wunderbarer Optimist. Und ich bin mir sicher: ... Wenn wir so leben wollten und auch könnten – nur für heute – dann sähe das Morgen heller aus.