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Kirche in WDR 2 | 11.05.2021 | 05:55 Uhr
Point of return
Point of Return
„Ich kann nicht mehr!“ Haben Sie das schon einmal gedacht, gefühlt?
Und falls ja: Wem haben Sie das gesagt?
Ich hatte durchaus schon solche Zeiten. Vor einigen Jahren, da habe ich meine Arbeit so sehr gemocht, dass ich mich selbst vergessen habe, dabei. Ich hatte solchen Spaß an dem, was ich gemacht habe, dass ich die ersten Anzeichen gar nicht wirklich bemerkt habe: Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, immer öfter wache Stunden in der Nacht.
Am nächsten Morgen ging es weiter. Dann
eben noch mehr Überstunden, um all das auszugleichen, was inzwischen langsamer
von der Hand ging, als sonst.
Das ging
über lange Zeit so - Bis zu diesem Tag, ich war gerade dabei, eine
Veranstaltung für den selben Abend vorzubereiten, freute mich darauf, 80
Studierende würden heute ein Running Dinner erleben, zum Abschluss eine kleine
Party, die Planung stand. Aber ich fand -mal wieder - meinen Schlüssel nicht.
Dafür die Konzertkarte, die ich am Abend zuvor in genau dieser Tasche zigmal
gesucht und nicht gefunden hatte. Vor der Tür der Westfalenhalle hatte ich eine
neue gekauft. Jetzt stand ich da, mit der abgelaufenen Konzertkarte in der
Hand, ohne den Schlüssel, den ich dringend brauchte und konnte nur noch heulen.
Von jetzt auf gleich. Zwei Stunden oder länger ging das. Ich habe geheult
während ich weiter den Schlüssel gesucht, Getränke kalt gelegt, Chips in
Schüsseln geschüttet habe. Ja, das war das Verrückteste: Ich konnte nicht
aufhören zu heulen und ich konnte nicht aufhören, gleichzeitig meinen Job zu
machen dabei. Keiner der 80 Studierenden hat an diesem Abend geahnt, wie es mir
ging. Als sie kamen, waren die Tränen getrocknet und ich habe funktioniert.
Doch für mich war es mein „Ich kann nicht mehr- Moment“. Und am nächsten Morgen
war klar: Ich muss und ich werde etwas ändern. Nur wenigen habe ich davon
erzählt, weil es mir peinlich war. Ich, die Macherin, die Starke, die „ich mach
das mal eben-Frau“… dieses Bild von mir gefiel mir ganz gut. Und das stimmt
sogar zu einem gewissen Teil. Aber auch ich habe eben Grenzen.
Ich habe die Kurve gekriegt, da bin ich froh.
Und ich weiß auch, dass das nicht selbstverständlich ist. Weiß darum, wie viele Menschen irgendwann richtig zusammenbrechen, bis sie sich eingestehen können, eingestehen müssen: „Ich kann nicht mehr.“
Nach außen versuchen sie – wie ich – den Schein zu waren. Wie verrückt das ist!
Denn Verständnis und Unterstützung von Familie, Freunden, Kolleginnen und Kollegen und ja – auch von der Chefetage – das wäre so hilfreich, um daraus zu kommen.
Deshalb bin ich so beeindruckt, von der Offenheit, mit der der Gesundheitsminister Österreichs im April seinen Rücktritt erklärt hat. Seine Begründung: „Ich habe wirklich versucht, alles zu geben und ich habe mich dabei ganz offensichtlich überarbeitet.“
Dass Herr Anschober so offen darüber spricht, dass er Grenzen hat – das ist nicht selbstverständlich. Obwohl es so selbstverständlich ist, dass wir alle Grenzen haben.
Er sagte vor der versammelten Presse, dass er so offen über die Gründe seines Rücktrittes spricht, weil er damit ein Zeichen dafür setzen will, dafür, dass Krankheit keine Schande ist.
Und wenn ich das lese und mich dabei an mein eigenes über-Grenzen-gehen erinnere, dann frage ich mich ganz grundsätzlich: Wie wollen wir eigentlich leben? Was bedeutet Arbeit -und was nicht?
Nachdenkliche Grüße, auf dem Weg zur Arbeit sende ich Ihnen…