Beiträge auf: wdr2
Hörmal | 16.05.2021 | 07:45 Uhr
Die vierte Zutat
Ich backe gern. Vor allem Brot, und zwar so richtiges. Keine schnell zusammengerührte Backmischung, sondern anständiges, ehrliches Sauerteigbrot. Haben Sie das schon mal ausprobiert? Es lohnt sich! Wenig auf der Welt schmeckt besser als diese erste, noch warme Scheibe, nur mit Butter und ein bisschen Salz. Und nur wenig anderes gibt mir so ein ganz tiefes Zufriedenheitsgefühl, wenn ich einen dunkelbraunen Laib aus dem Ofen hole, den ich mit eigenen Händen geformt habe und der bis ins Treppenhaus duftet! An Tagen, wo ich gleich mehrere Brote backe, lasse ich außerdem meine Laufschuhe und Hanteln im Schrank l – so einen schwere Roggenmischung durchzukneten ist Bewegung genug.
So richtiges Brot, sagt man, besteht nur aus wenigen Zutaten: Mehl, Wasser und ein bisschen Salz. Eine vierte Zutat wird meist unterschlagen, dabei ist sie die ganz entscheidende. Und auf jeden Fall die teuerste. Ein richtig gutes Brot besteht aus Mehl, Wasser, Salz – und Zeit. Mein Lieblingsbrot braucht insgesamt gut anderthalb Tage, und das Anstrengende daran ist gar nicht, dass es so lange dauert, sondern dass ich so oft nur dasitzen und zugucken kann.
Natürlich könnte ich das alles auch schneller haben. Ein Industriebrot aus dem Supermarkt, das mit Enzymen vollgepumpt ist, braucht nur einen Bruchteil der Zeit – aber das schmecken Sie halt auch. Beim Brotbacken hat jede Abkürzung einen Preis. Sie bezahlen mit Geschmack, Haltbarkeit oder Bekömmlichkeit. Und ich frage mich immer mehr, ob das im Leben nicht generell so ist. Beziehungen zum Beispiel brauchen auch Zeit, wachsen über Jahre oder Jahrzehnte. Und auch da gibt es ja manchmal so Phasen, wo gar nicht viel passiert, wo man sich mal kurz aus den Augen verliert.
Und wenn es um Gott und die Welt geht – das braucht doch auch Zeit. Natürlich gibt es da einfache und schnelle Antworten. Aber ich glaube nicht, dass die lange halten oder auf Dauer wirklich zufriedenstellen. Ich würde sogar sagen: So wie das enzymgepumpte Brot aus dem Supermarkt manchmal richtig ungesund sein kann, so können auch die billigen Antworten, die nur aus Worthülsen und Schwarz-Weiß-Denken bestehen, schädlich sein. Und manche Fragen muss ich kneten und boxen und drehen und ziehen, so wie ein anständiges Roggenmischbrot.
Ja, Sie haben es sicherlich schon vermutet: Für mich hängen mein Backen und mein Glauben sehr eng zusammen. Für beides brauche ich Geduld – und das musste ich lernen, und muss es auch heute noch. Ich brauche Geduld mit mir selber, mit den Menschen um mich herum – und mit Gott auch. Ich habe gelernt: Manches braucht seine Zeit, und keine Abkürzung ist umsonst, auch wenn mir die Zeit zwischendurch verdammt lang vorkommt. Spätestens dann, wenn die ganze Wohnung nach frischem Brot riecht, weiß ich wieder, dass es sich lohnt. Bevor ich mir die erste Scheibe abschneide, ritze ich ein kleines Kreuz ins Brot. Ein kurzes, wortloses Gebet. Ein Dank an Gott und seine Geduld mit mir. [Für mein Brot und meinen Glauben. Ich könnte mir ein Leben ohne beides nicht vorstellen.]
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius