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Kirche in WDR 2 | 08.02.2022 | 05:55 Uhr
Die da
„Hör mir auf! Die Politiker“,
sagt er, „denen geht es doch sowieso immer nur um das eigene Konto. Die sind
doch alle gleich.“
Da ist es wieder. Das „die da“. Wir sitzen in unserer Küche,
mein alter Bekannter und ich. Wir haben uns lange nicht gesehen. Wegen Corona.
Es ist schön, dass er da ist. Und wir quatschen und trinken Rotwein. Nach
einiger Zeit gehen uns ein bisschen die Themen aus. So viel erlebt man einfach
nicht in Zeiten von Corona. Also kommt das gute alte „die da“ zum Einsatz: Wir
reden über Leute, die nicht da sind. Die wir auch nicht kennen. Die wir aber
prima einschätzen können. Eben „die da“. Die Politiker. Das ist der Aufschlag.
Jetzt kommen bestimmt irgendwann noch „die Beamten, die Lehrer“. Und „die
Pfarrer“, natürlich. Das gibt noch mal für mindestens zwei Stunden Redestoff.
Aber an diesem Abend klappt das irgendwie nicht: „Naja,“ sage ich, „ich kenne
da diesen Politiker persönlich. Ich hab den mal in der Nachbarschaft kennengelernt.
Ich finde, der bemüht sich schon ehrlich, es gut zu machen.“ „Ja, den meint er
ja auch nicht“. Sagt mein Bekannter. Aber das Thema „Politiker“ ist damit
durch. Wir versuchen es mit „die Lehrer“. Aber seine Schwägerin ist Lehrerin
und sie ist super. Und wenn ich ehrlich bin, ist die Lehrerin unserer Kinder
auch super. Nächstes Thema… Aber welches Thema wir auch versuchen, es gelingt
uns an diesem Abend einfach nicht. Wir denken zu differenziert, kennen manche
von „denen da“ persönlich. Und das ist das Ende für jedes „die da“ Gespräch.
Weil, wenn man jemanden kennt, sofort auffällt, dass es „Die da“ überhaupt
nicht gibt. Es gibt nur Menschen. Manche haben vielleicht ähnliche
Eigenschaften, Berufe, Hobbys. Aber zu „denen da“ werden sie erst, wenn man
aktiv alle anderen Eigenschaften ausblendet. Wenn man Menschen zum Klischee
macht. Wenn man verschweigt, dass ein Politiker eben auch ein Nachbar ist. Und
ein Fußballfan. Ein Sohn. Ein Vater, vielleicht. Ein Mensch eben. Bunt.
Vielfältig. Wie wir alle.
In der Bibel steht: Du sollst nicht falsch Zeugnis
reden wider deinen Nächsten. Zehn Gebote. Ich höre da immer: Lass das mal mit
dem Lästern. Weil das, was du da erzählst, sowieso dem Menschen nicht gerecht
wird, über den du redest. Weil ein Mensch immer mehr ist, als du denkst. Lästern
macht einfach nur viel kaputt. Also lass es. Gut.
An diesem Abend haben wir es dann gelassen. Keine „die da“ – Gespräche mehr. Stattdessen haben wir uns noch einen Wein eingeschenkt und von Menschen erzählt, die wir mögen und bewundern. Dabei haben wir weder geschimpft noch gelästert. Eigentlich ein wirklich schöner Abend.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius