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Hörmal | 26.05.2022 | 07:45 Uhr
Einmal besser haben
Heute ist ja Vatertag. Und ein Satz, den Kindern von ihren Eltern hören, nicht selten vom Vater, ist ja der hier: „Du sollst es einmal besser haben als wir.“
Nun bin ich selbst kein Vater, daher weiß ich nicht, ob ich diesen Satz auch sagen würde, wenn ich Kinder hätte. Aber ich kann mich sehr daran erinnern, wie dieses „Du sollst es einmal besser haben als wir“ der Motor im Erziehungsprogramm meines Vaters war. Ein Beispiel: Er selbst hatte sich seine akademische Laufbahn erkämpft, von der Dreherlehre übers Abendgymnasium bis zum Oberstudienrat. Mein Vater wollte unbedingt, dass wir Kinder jeden Bildungsabschluss erreichen können, den wir anstreben wollen. Früh bekamen wir Kinder neben der Schule noch eine musikalische Erziehung, wurden zum Sport geschickt – alles, damit uns alle Wegen offen stehen. So deute ich das heute. Auch sollte ich lange Zeit keinen Ferienjob machen. Ich sollte mich lieber auf die Schule konzentrieren. Denn: „Du sollst es einmal besser haben als wir.“ Dass zwei seiner Kinder irgendwann das Studium geschmissen hatten, das wurmte meinen Vater. Er konnte lange nicht sehen, dass der Weg, den er für uns als das „einmal besser haben“ ansah, vielleicht nicht der Weg ist, der zu seinen Kindern passt.
Darüber kann ich heute nicht mehr mit meinem Vater diskutieren.Im Frühjahr ist mein Vater gestorben. Heute ist quasi mein erster Vatertag ohne Papa. Und irgendwie ist das schon komisch, dass ich ihn nicht mehr anrufen kann…
Als mein Vater starb, da
hatte ich mir oft gedacht: „Eigentlich hattest Du Dir das ganz anders
vorgestellt.“ Ich wollte noch mehr von ihm erfahren, aus seinem Leben. Aber die
Alltagsprobleme am Ende seines Lebens gaben das kaum her: er hatte Krebs. Als
mein Vater dann quasi über Nacht auf die Palliativstation eingewiesen wurde und
klar war, er wird nicht mehr zurückkommen in das Haus, das er gebaut hatte, da
war mir klar: Jetzt geht es darum, Papa zu signalisieren: Alles ist gut. Wir
Kinder kommen zurecht. Du kannst gehen. Das habe ich bei unserer letzten
Begegnung versucht, ihm zu vermitteln. Und mein Vater war tieftraurig und
sagte: „Ich wollte Euch doch noch so viel mitgeben.“
Sie müssen wissen, mein Vater war Lehrer und ich fürchte, als Lehrer gibt es nie genug, was man anderen noch mitgeben möchte. Ich hatte kurz überlegt: Was antwortest Du jetzt darauf? Und dann nahm ich seine Hand und sagte: „Papa: Du hast uns so viel mitgegeben, das reicht für zwei Leben.“ Zwei Tage später bekam ich sehr früh morgens eine Whatsapp-Nachricht von ihm, mit ganz vielen Tippfehlern: „Lieber Klaus, ich denke noch immer an den Satz ‚Du hast uns so viel mitgeben‘. Etwas Schöneres habe ich vorher nicht gehört. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie oft ich mich verschrieben habe, um das hier hinzubekommen. Vielen, vielen, vielen Dank. Dein Vater“.
Das war die letzte Nachricht meines Vaters an mich.
Dann begann seine „Himmelfahrt“ – um es mal in dem Wort zu sagen, das heute für die Christen auch im Raum steht. Denn heute ist nicht nur Vatertag, sondern Christi Himmelfahrt. Und damit endet für die Christen die Osterzeit. Quasi das Sechswochenamt der Christen. Und in meiner Trauer habe ich auch gemerkt, wie diese sechs Wochen nach dem Tod eine wichtige Marke sind, um wirklich loszulassen. Heute, am Vatertag, kommt mir die Erinnerung an meinen Papa wieder – aber in der Gewissheit von Ostern, dass er es jetzt besser hat. Und das verbunden mit einer ganz großen Dankbarkeit, einen solchen Vater gehabt zu haben.