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Kirche in WDR 2 | 24.05.2022 | 05:55 Uhr
Worte sind mächtig
Worte sind mächtig. Gesten sind mächtig. Gehen sie vorsichtig damit um.
Meine Mutter konnte mir das nicht beibringen. Ich wünschte, es wäre anders gewesen. Aber meine Kindheit und Jugend war eher so etwas wie eine Lernschule, wie man es nicht macht mit den Worten und den Gesten.
Ein Beispiel: In meiner Abizeit: kam meine Mutter zu mir und hatte so um die 100 Namensschilder machen lassen, die man so in Klamotten einnähen lassen kann und da stand mein Name drauf. Meine Mutter warf die Schilder auf den Tisch, zeigte drauf und sagte: „Die Dinger kannst Du Dir einnähen lassen, dann kannst Du hier ja endlich ausziehen.“
Zwei kleine Randnotizen. Die Aktion an sich war schon irrsinnig genug. Dann kam aber noch dazu: Mein Name auf diesen Schildern waren falsch geschrieben. Und vielleicht schwant Ihnen schon, warum meine Mutter das bei der Bestellung versemmelt hatte: Meine Mutter war Alkoholikerin. Und sie war mal wieder im Suff. Heute kann ich das mit Abstand sehen und sagen: Aha, das war so und so. Deine Mutter war damals krank. Als Jugendlicher war die Aktion ein Schlag.
Diese Szene hat sich fest in mein Herz und meine Seele eingebrannt. Sie verfolgt mich in meinen Träumen und ich denke noch oft daran. Und das Schlimmste daran war das Wort „Endlich“! Meine Mutter Sie sagte „Dann kannst Du hier ja ENDLICH ausziehen.“ Für sie war das Ganze nur eine kleine Szene im Vorrübergehen. Für mich ein echter Schlag ins Gesicht. Selten habe ich mich so ungewollt, unwillkommen und vor allem ungeliebt gefühlt. Meine Mutter war eine kranke und sehr belastete Frau. Das habe ich damals schon gewusst, aber das zu wissen hat mir nicht geholfen diesen Spruch leichter zu verpacken.
Ich rechne mir
hoch an, dass ich – auch wegen meiner Mutter – nie einen Tropfen Alkohol
angepackt habe. Aber ganz ehrlich? Meine Gesten und meine Worte, die habe ich
auch nüchtern nicht immer im Griff. Ich klopfe gerne große Sprüche und stehe
auch auf theatralische Gesten – merken Sie vielleicht, wenn Sie mich manchmal
hier im Radio hören. Aber: Nun bin ich ja selbst Vater von 3 Kindern. Und
ich
habe mir angewöhnt, immer wenn ich
glaube, dass ein Spruch vielleicht eine Spur zu heftig war, einmal beim
„Empfänger“ nachzufragen: Hab ich übertrieben? War ich zu hart? Ich weiß halt,
dass ich dafür wenig Gespür mit auf den Weg bekommen hab von meiner Mutter.
Umso mehr, versuche ich die Dinge zu klären und aus der Welt zu schaffen. Ganz
besonders wenn ich mit meinen Kindern rede, versuche ich mich zu erklären und
Verantwortung für das zu übernehmen, was ich gemacht oder gesagt habe. Sie
sollen keine Narben auf der Seele tragen wie ich. Und auch wenn ich weit davon
entfernt bin, perfekt zu sein, wollte ich Ihnen das heute mitgeben, was ich
ganz am Anfang gesagt habe: Worte sind mächtig. Gesten sind mächtig. Gehen sie
vorsichtig damit um.