Beiträge auf: wdr2
Kirche in WDR 2 | 25.10.2022 | 05:55 Uhr
Dumme Fragen
Mein
alter Sachkunde-Lehrer, der hat oft zu mir gesagt: „Jetzt stell doch nicht
immer so dumme Fragen.“ Ich kann den Mann verstehen, da waren etliche Fragen
dabei, die ich mir selbst hätte beantworten können – für ne Mark 50 weiter
nachdenken.
Aber wissen Sie was?
Irgendwann war ich so verschüchtert , dass ich lieber den Mund gehalten habe.
Und Angst ist fürs Lernen schädlicher als keine Bücher-Haben oder inkompetente
Lehrkörper. Neugier ist eben der Motor, wenn man etwas lernen will und eine
Nebenwirkung der Neugier sind eben hie und da ein paar dumme Fragen. Als
Erwachsener habe ich auch kein Problem mehr mit dummen Fragen. Die meisten
„dummen“ Fragen werden doch nur als blöd wahrgenommen, weil man glaubt, dass die
Antwort allgemein bekannt ist. Aber wenn ich einfach noch nie gehört habe, wie
die Hauptstadt Italiens heißt, dann habe ich einfach nur eine Lücke in der
Allgemeinbildung. Mit mehr oder weniger Intelligenz hat das nichts zu tun.
Trotzdem.
Auch ich finde, es gibt durchaus schlechte bzw. unschöne Fragen. Und die werden
jeden Tag und überall gestellt. Das sind Fragen, die überhaupt nicht an einer
Antwort interessiert sind. Die werden nur gestellt, um dem Gegenüber eine Falle
zu stellen. Diese Fragen diffamieren oder setzen unter Druck „Was machst Du
denn immer noch hier!“ – ist so ne typische Frage.
Das heißt ja eher „mach, dass Du weg kommst“,
als: „Oh, ich mich interessiert Dein weiterer Zeitplan“. Die Frage „Willst Du
das wirklich anziehen?“ ist eigentlich der dringende Rat/Befehl „Zieh das
hässliche Teil sofort aus!“ und mit der Frage „Bist Du eigentlich blöd?“ möchte
man nicht den IQ seines Gegenübers erfragen. Es ist schon klar, dass diese
Beispiele teilweise eher rhetorische Figuren und geflügelte Wort sind, aber für
mich macht die Qualität Frage aus, ob der/die Fragende wirklich etwas erfahren
möchte und auch wirklich eine Antwort hören will. Ob die Frage mit einem
offenen Herzen und einem offenen Ohr gesprochen wird. Eine gute Frage ist ein
Gesprächsangebot und macht alle Beteiligten etwas klüger, selbst wenn niemand
die richtige Antwort kennt. Eine gute Frage erzeugt weitere, spannendere und
neue Fragen.
Das Judentum hat das schon vor vielen hundert Jahren verstanden und pflegt eine Hochkultur im „Fragen stellen“. Glaube und Tradition soll nicht unkritisch übernommen werden, sondern jede und jeder soll im Spiel von Frage und Gegenfrage im inneren prüfen, was wirklich wichtig ist und was die Seele glauben mag oder eben doch nicht glauben kann. Ich find es total wichtig, dass mir die Religion die richtigen Fragen eröffnet und nicht gleich alle Antworten parat hat. Und so geht es mir auch mit religiösen Menschen: die, die mir sympathisch sind, sind die mit den besten Fragen. Ein fragender Mensch zu bleiben schützt vor Fanatismus und Überheblichkeit. Deswegen stellen sie ruhig Fragen, selbst wenn einige diese Fragen für dumm halten.