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Kirche in WDR 2 | 12.07.2024 | 05:55 Uhr
Mit beiden Beinen
Vor ein paar Tagen bin ich mit unserer Neunjährigen im Auto gefahren. Völlig unvermittelt fragt sie plötzlich von der Rückbank, wie es sein kann, dass einer ihrer Klassenkameraden schon Onkel ist. Nach kurzem Überlegen kommt sie selbst auf die Lösung: Er hat eine große Schwester, die schon ein Kind hat.
„Mama, wie findest du das?“, fragt sie.
Ich frage überrascht zurück: „Wie alt ist denn die Schwester?“ „18“, sagt Ida.
„Puh, das ist sehr früh, um ein Kind zu bekommen.“
Ida: „Warum?“ Ich suche krampfhaft nach einer schnellen, unverfänglichen
Antwort. Gar nicht so einfach während der Autofahrt.
„Nun, vielleicht sollte man mit beiden Beinen fest im Leben stehen, wenn man
ein Kind bekommt.“ Völlig erbost und verärgert schimpft Ida von der Rückbank:
„Mama, ich stehe auch mit beiden Beinen fest im Leben.“
Ich gestehe: Diese kleine Episode aus unserem Familienalltag hat mich sehr beschäftigt. Mehr, als mir lieb ist. Wie bin ich auf die Idee gekommen, dass Kinder nicht mit beiden Beinen fest im Leben stehen? Und was genau heißt das eigentlich?
Ich bin zu dem Schluss gekommen: Ob man mit beiden Beinen fest im Leben steht, hat nichts mit dem Alter zu tun. Sondern mit der Art und Weise, wie ich aufs Leben schaue. Ob ich mich geborgen fühle, gehalten. Vielleicht in der Art und Weise, wie es jemand in einem Gebet in der Bibel sagt: Von allen Seiten umgibst du mich, Gott, und hältst deine Hand über mir.
Mir ist wichtig, dass Kinder genau diese Erfahrung machen: Gehalten und getragen zu sein. Ich glaube, das ist die wichtigste Voraussetzung, um mit beiden Beinen fest im Leben stehen zu können.
Damit Kinder so ein gutes Fundament haben, brauchen sie auch Erwachsene, die sie ernst nehmen, die ihre Gedanken und Ideen wertschätzen, die neugierig sind auf ihre Sicht und bereit für einen Austausch mit offenem Ausgang.
Ich habe mir fest
vorgenommen, das stärker zu beherzigen. Beim nächsten Gespräch frage ich Ida
einfach, was sie selbst denkt. Was braucht es, um Kinder ins Leben zu
begleiten? Was wünscht sie sich und wie sind ihre Einsichten zu den großen
Fragen des Lebens. Das könnte spannend werden.
Hoffentlich schaffe ich es immer wieder neu, mich auf die Sicht der Kinder
einzulassen und von ihnen zu lernen.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth