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Hörmal | 11.08.2024 | 07:45 Uhr
Barmherzigkeit bleibt
Neulich hat mir jemand ein Kästchen mit Magnetclips geschenkt. Vor mir lag eine Sammlung vergessener Worte: Lichtspielhaus, Ratzefummel oder Backfisch etwa – altmodisch für Teenager. Und noch ein Begriff ist dabei, der wie aus der Zeit gefallen klingt: Barmherzigkeit.
Wer spricht heute noch von „Werken der Barmherzigkeit“, außer in der Kirche vielleicht. Aber bei genauerem Hinsehen ist es dann doch nicht so selten. Wie viele Menschen haben zu Beginn des Ukraine-Krieges Flüchtlinge bei sich aufgenommen? Oder sind in Corona-Zeiten für die Nachbarin einkaufen gegangen?
Und dann ist da auch noch der barmherzige Samariter aus der Bibel (Lukas 10, Vers 25ff): Die anderen gehen achtlos vorbei, aber er kümmert sich um einen Mann, der unterwegs zusammengeschlagen und beklaut worden ist - kein Handy, kein Fahrrad mehr und Platzwunden überall. Krankenwagen oder Polizei gibt‘s auch nicht. So sorgt der Samariter selbst dafür, dass der Mann versorgt wird.
Diese Geschichte erzählt Jesus als Beispiel für Nächstenliebe. Da lässt
jemand zu, dass sein Herz berührt wird – BarmHERZigkeit eben, auch wenn man
selbst das gar nicht so nennen würde.
Neben den Magnetclips für den Kühlschrank liegt auch ein neues Kinderbuch
vor mir: „Damals hieß ich Rita“. Darin erzählt der deutsch-holländische Autor
Lutz van Dijk die bewegende Geschichte der Jüdin Rozette Kats aus Amsterdam.
Aus Angst verhaftet zu werden, geben ihre Eltern sie 1942 als Baby in die Obhut
eines holländischen Ehepaares: Henk und Bep van der Weg.
Sie nehmen die kleine Rozette auf und nennen sie unauffällig „Rita“. Denn es war lebensgefährlich, ein jüdisches Kind zu verstecken. Warum die van der Wegs es trotzdem taten? „Das gehörte sich einfach!“, viel mehr hätten die beiden nicht dazu gesagt, erzählt Rozette Kats heute. Sie ließen sich einfach berühren vom Schicksal dieses Kindes, dessen Eltern später in Auschwitz umkamen.
Was für eine Geschichte: Die Liebe ihrer Pflegeeltern hat Rozette Kats durchs Leben getragen und vor Bitterkeit bewahrt. 2023 hat sie beim Holocaustgedenktag im Deutschen Bundestag gesprochen und vor Hass, Gewalt und Unmenschlichkeit gewarnt. Mit 82 Jahren geht sie immer noch in Schulen, um Kindern zu erzählen, wie viel Gutes einzelne Menschen bewirken können. Barmherzigkeit kann Berge versetzen - „Das gehört sich einfach“ - auch ohne große Worte.
Buchtipp:
Lutz van Dijk: Damals hieß ich Rita. Die Geschichte von Rozette Kats. Illustriert von Francis Kaiser. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2024, 32 Seiten (22x28cm), 20.- Euro
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius