Beiträge auf: wdr2
Kirche in WDR 2 | 12.08.2024 | 05:55 Uhr
Freio für alle
Heute ist wieder Montag, und weil heute Montag ist ist das Wochenende leider auch schon wieder vorbei. Und bestimmt haben Sie heute Morgen schon in aller Herrgottsfrühe zum Handy gegriffen. Die Neuigkeiten der Nacht studiert. Oder sich über neue Whats-App-Bilder gefreut. Ach, Leni und Mark haben ein Video vom Adele-Konzert geschickt. Die britische Sängerin gibt ja gerade einige Konzerte in München. 800000 Zuschauer. Unglaublich!
Ich hab mir vor ein paar Tagen Karten für ein Konzert mit Bob Dylan gekauft. Im Oktober ist er mal wieder in Deutschland. Und das Konzert ist mit einem ungewöhnlichen Hinweis verbunden: „Dies ist eine strikte „No Cell Phones Allowed Show“. Bitte lasst eure Handys im Auto oder zu Hause. Jeder, der mit einem Handy in der Halle erwischt wird, wird sofort aus der Halle verwiesen.“ Keine Fotos, keine Filme erlaubt. Beim letzten Konzert ist das auch schon so gewesen. Jedes Handy wurde in einer Hülle eingeschlossen, die man nur mit einem speziellen Schlüssel öffnen konnte. Erst nach dem Ende des Konzertes selbstverständlich. Ich erinnere mich, dass es damals sowieso nicht viel zu sehen gab. Bob Dylan jedenfalls überhaupt nicht. Der Künstler saß in völliger Düsternis hinter einem großen Klavier. Und in dieser Düsternis schnarrte lediglich Dylans Stimme dem Publikum entgegen:„I´m locked in tight, I´m out of range“ – Ich bin mittendrin und außer Reichweite“ hat er da zum Beispiel in seinem großartigen Song „Things Have Changed“ gesungen.
Nun könnte man das achselzuckend als verspannte Merkwürdigkeit eines komplizierten Künstlers abtun. So ist er halt, der Dylan. Ist ja noch nicht mal zur seiner Nobelpreisverleihung erschienen. Doch als das Konzert damals in Krefeld begonnen hat, da hat es eine Sinneserfahrung gegeben, die es heute praktisch an keinem Ort der Welt mehr gibt. Nicht nur der Künstler, auch das Publikum war in völliger Dunkelheit. Kein Geblitze, kein Handylicht, niemand hat sein Telefon vor seine Stirn gehalten. Kein Rauschen, Surren, Raunen. Andächtige analoge Aufmerksamkeit. Da war Freio. Wie früher beim Nachlaufenspielen. Da haben wir mit Kreide ein Viereck auf den Asphalt gemalt. Da hast du hinlaufen können, hast Freio! gerufen dich für ein paar Sekunden ausruhen dürfen. Freio beim Kinderspiel war Aufatmen für alle, deren Beine schwer wurden.
Und da hab ich mich an einen zentralen Gedanken der Bibel erinnert. „Du sollst dir kein Bild von Gott machen.“ Damit beginnen die zehn Gebote. Das finde ich sehr hellsichtig. Du sollst dir kein Bild machen, das bedeutet nämlich übersetzt: Du kannst Gott nicht besitzen. Du kannst nicht über ihn verfügen. Für Gott gilt halt, was Bob Dylan singt: „I´m locked in tight, I´m out of range“ – Ich bin mittendrin und außer Reichweite. Du kannst mich nicht einkassieren. Keiner kann das. Und das ist gut so.“ Es muss doch etwas geben, was nicht besetzt, besessen, vermüllt, mit Interessen und Erwartungen vollgestopft, umkämpft, zerfleddert, manipuliert, zertrampelt oder erkämpft ist. Es muss doch einen geben, der über all diesen destruktiven zerstörerischen Mächten steht. Und der sagt: „Ich gehöre keinem.“ Die Bibel sagt: Das ist Gott. Er ist Freio für alle. Und ist gut so. Nicht nur im Bob Dylan Konzert. Und nicht nur an einem Montagmorgen.