Beiträge auf: wdr2
Kirche in WDR 2 | 14.08.2024 | 05:55 Uhr
Goldnuggets
Wäre ich eine Jahreszeit – dann wäre ich ungern der Sommer. Das wären mir zu viele Erwartungen. Erholung, laue Abende, Badewetter, aber bloß nicht zu heiß… Der Sommer ist für viele eine Jahreszeit, in der sie die berühmten Akkus aufladen wollen. Mit freier Zeit, Wärme, Licht und entspanntem Zusammensein. Und das muss dann lange reichen, für all die Monate, in denen es dunkler und kälter ist.
Es ist ja so: Wo Erwartungen hoch sind, lauern auch Enttäuschungen. Der Urlaub war dann doch nicht so erholsam, dass es für viele Monate vorhält, beim zehnten Grillabend schmeckts nach Gewohnheit, der Regen war entweder zu viel oder zu wenig, es gab dann doch mehr Alltag als Sommerpartys und überhaupt: Gabs letztes Jahr auch so viele Mücken?
„Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ sang Rudi Carell in den 70er Jahren. Ein Titel, der irgendwie jedes Jahr passt, denn: Irgendwas ist halt immer. „Sommer ist das, was im Kopf passiert“, halten 2001 die Wise Guys dagegen. Und zielen in ihrem Lied darauf ab, dass es egal ist, ob man schwitzt oder friert – man muss halt einfach das Beste daraus machen.
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich glaube nämlich, dass dieses Spiel aus Erwartung und Enttäuschung oder auch diese pragmatische „Nützt ja nix-man-muss-es-nehmen-wie-es-kommt-Haltung“ unter unseren Möglichkeiten bleibt. Wie wäre es mit ein bisschen Goldgräberstimmung? Also in dem Sinne, dass wir den Sommer, der so langsam in die Schlusskurve fährt, etwas genauer unter die Lupe nehmen. Mal das Sieb tief eintauchen und gucken, was zum Vorschein kommt.
Da fallen dann als erstes die großen Brocken auf: Die wirklich gelungenen Tage etwa. Vielleicht ein Fest, eine Reise. Echte Goldschürfer gucken dann immer genauer hin: Was ist da noch zu entdecken? Und was noch? Womöglich zeigen sich winzig kleine Goldpartikel, die fast untergegangen wären. Alles, was kostbar scheint, bergen. Das ist es, was Goldgräber so tun. „Und dann?“ können Sie sich natürlich fragen. Wie kann das Vergangene mir das Jetzt und das Bald vergolden?
Dazu braucht es ein Schürfen bis auf den Grund. Bei der Berliner Zeichnerin Karin Clauß fand ich diesen Satz unter einer ihrer Illustrationen:
„Ich ordne alles, was ich habe, und lege es mir zu Füßen. Da ist so
viel Gnade, ich mache die Gnade sichtbar. Stück für Stück.“ Gnade – für mich
verweist das auf den Ursprung, von dem all das kommt. Und den nenne ich Gott –
der meint es gut mit uns. Und ich glaube, so wird aus einem Rückblick eine
kraftvolle Aussicht. Wenn da so viele „Gott meint es echt gut mit mir-Goldpartikel“
in meinem Gestern waren, in meinem Jetzt sind, dann kann der Herbst getrost
kommen. Muss aber noch nicht jetzt sein. Noch gibt’s reichlich
Sommergoldnuggets zu entdecken.