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Kirche in WDR 2 | 19.09.2024 | 05:55 Uhr
Der letzte Tag
Zu zweit, zu dritt sind sie immer gefahren. Mit dem Rennrad vom Meer bis in die Berge. Früh morgens um sechs, wenn es noch kühler ist. Und dann ist Philippe eines Morgens einfach vom Rad gefallen. Kein Krampf, kein Schwächeanfall, sondern: ein Aneurysma im Kopf. Sagen die Ärzte.
So schnell kann es gehen, sagt eine Freundin, die ihn auch gekannt hat. Wir alle sind geschockt. Und auf unserem Campingplatz steht nur noch sein Zelt und das Auto, mit der Nationalfahne, der französischen. Schließlich ist Fußball-EM.
Jedes Mal, wenn ich daran vorbeikomme, muss ich daran denken, ja so schnell.
Philippes französische Freunde packen seine Sachen und die seiner Familie zusammen. Schweigsam und bedächtig. Das ist mein Abschied, sagt Bruno, der immer mit Philippe geradelt ist. Nach jedem Urlaub hat er das ganze Jahr über mit Philippe die neuesten Trainingserfolge geteilt. Via App.
Das wird jetzt nicht mehr sein. Und trotzdem geht das Leben weiter. Philippes Tochter will bald heiraten. „Warum eigentlich?“, fragen einige Bekannte. „Heute braucht es doch so was nicht mehr“. „Doch“, sagt sie. „Wir wollen zeigen, dass wir zusammen sind und zusammenhalten. Und das feiern - mit allen, die uns lieb sind. Ein Zeichen, dass das Leben weitergeht. Sie hat erlebt, wie schnell das Leben enden kann.
Immer so zu leben, als wäre es der letzte Tag, gelingt mir und wahrscheinlich Euch auch eher selten. Aber Philippes plötzlicher Tod macht mir das wieder bewusst – wie wichtig das ist.
Und ich nehme mir vor, es stärker mitzudenken. Jeden Tag was zu machen, was nicht effektiv oder sinnvoll ist, sondern einfach Spaß macht. Noch mal mit dem Bord raus aufs Meer, obwohl ich eigentlich kochen will. Den Hund ausgiebig knuddeln, obwohl er so dreckig und nass ist. Das Buch zu Ende lesen, auch wenn es schon ziemlich spät ist. Noch mal in die Bar gehen und etwas auf Französisch radebrechen. Und wieder zuhause: Sich mit dem Bruder vertragen. Meiner Freundin mal sagen, wie wichtig sie für mich ist. Philippe hätte das bestimmt gefreut.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius