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Kirche in WDR 2 | 30.09.2024 | 05:55 Uhr
Leben im Moment
Samstagnachmittag. Meine Schwester und ich zeigen unserer Mutter Broschüren vom Reisebüro: „Lass uns doch mal was zu dritt machen. Rom würde dir bestimmt gefallen. Oder wir fahren nach Paris. Da warst Du doch immer gerne mit Papa.“
Meine Schwester und ich haben ein Plan. Erinnerungen generieren, Bilder festhalten. Für eine Zeit ohne Mama. Wir haben schon so wenig Erinnerungen an Papa. Das passiert uns nicht nochmal. Wir wollen Fotoalben füllen und ihr Lachen konservieren. Für später.
Blöd nur, dass Mama verreisen mit uns kategorisch ablehnt. Sie sagt: „Ich habe in meinem Leben viel erlebt. Nicht alles ist schön gewesen. Aber ich habe meine Bilder im Kopf. Ich kann in Gedanken hinreisen, wohin ich will. Unternehmt ihr was. Lebt euer Leben. Und behaltet mich einfach in Erinnerung.“
Jemanden einfach in Erinnerung behalten, das ist nicht leicht. Mein Vater ist jetzt zehn Jahre tot. Gerne hätte ich ein Fotoalbum als Erinnerungsstütze. Um mir besondere Momente in Erinnerung zu rufen. Sein Gesicht zu sehen. Ihn zu sehen.
Aber Familienalben oder Videos von Schulaufführungen haben in meiner Familie keine große Tradition. Als mein Papa gestorben ist, habe ich kaum ein aktuelles Foto von ihm gefunden. Wir wollten es unserer Mama eigentlich ausdrucken und aufstellen. Wollte sie aber auch nicht. Geeinigt haben wir uns auf einen schwarz-weiß-verschwommenen Schnappschuss.
Mama hat uns in all den Jahren immer wieder gesagt: Die Erinnerungen im Herzen sind viel wichtiger als Fotos. Es geht um das Leben im Moment. So nennt sie das.
Für mich sind Bilder wichtig. Sich ein Bild machen ist wichtig. Klar, Bilder zeigen immer nur den einen Augenblick im Leben: lustige, peinliche, romantische und nicht das Drumherum. Aber sie sind ein Anker.
Das Leben im Moment hat seine Berechtigung. Wenn ich mal wieder bei `nem Konzert alles nur über mein Smartphonedisplay sehe, denke ich auch: „Pack doch mal das Handy weg und leb diesen Moment, genieß ihn, konservier` ihn in deinem Herzen.“
Mal ehrlich, wer guckt sich das Video vom Coldplay-Konzert, auf dem nur das halbe Lieblingslied ist, dafür aber das Mitgegröle der Fans in voller Lautstärke wirklich noch mal an? Mein Smartphone ist ein ziemliches Erinnerungsgrab. Aber so ein kleines Album, mit Ruhe und Liebe zusammengestellt. Damit würde ich mich schon ab und zu hinsetzen. Es ansehen und mich erinnern. Daran, was für mich gut gewesen ist und was mich bis heute trägt. Manchmal muss ich das Gute einfach sehen. Auf einem Foto. Nur für einen Moment.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius