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Kirche in WDR 2 | 25.09.2024 | 05:55 Uhr
Großbaustelle
Lauter Menschen. Einige
entfernen Graffitis, ein anderer schweißt an riesigen Brückenteilen herum,
wieder andere laufen über die Baustelle und bewegen mit einer Art Joystick
meterhohe Baukräne. Etliche sitzen in LKW’s und transportieren frisches
Baumaterial, alten Schutt oder auch die Baustellenklos hin und her. Es gibt
Leute, die die Baustelle immer wieder vermessen und solche, die mit
Klemmbrettern von A nach B laufen. Womöglich sind das die Leute, die die neue
Autobahnbrücke an der A 43 in Münster geplant haben und jetzt regelmäßig
gucken, wie es vorangeht. Ich fahre fast täglich im Schneckentempo mitten durch
diese Baustelle und bin fasziniert von diesem Treiben. Ich versuche immer die
Menschen zu zählen - und die unterschiedlichen Gewerke auch. Und ich
entdecke stetig neue. Die Kennzeichen der
Baustellenfahrzeuge zeigen: Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen
zusammen.
Also denke ich mir: viele dieser Profis kennen sich bislang ja gar nicht. Sie sind kein seit Jahres eingespieltes Team, sondern eines, dass jetzt und hier für dieses Projekt zusammenkommt.
Ich staune jeden Tag
aufs Neue über dieses Treiben und manchmal denke ich: Vielleicht sollte ich als
Theologin ein Praktikum auf so einer Baustelle machen! Das wäre sowas wie
Nachhilfe in Sachen Mut und Tatendrang. Denn: Das muss man sich ja erstmal zutrauen,
eine Brücke zu bauen, die Menschen langfristig und sicher von A nach B
bringt.
Was ich noch auf der
Großbaustelle lernen könnte? Lektionen in Sachen Vertrauen und Zutrauen in
andere. Alle, die da arbeiten, müssen den anderen auch was zutrauen, wenn‘s vorangehen
soll. Und mein drittes Lernfach: Klar sagen, was Sache ist. Ich sehe keine
Stuhlkreise, in denen gesprochen wird. Aber immer wieder, Menschen, die ihre
Köpfe zusammenstecken, bevor sie wieder auseinandergehen, jeder an seinen Teil
der Arbeit.
Wenn ich diese kurzen Absprachen sehe, denke ich oft an den Satz der Psychoanalytikerin Ruth Cohn: „Sag einfach, was mit Dir ist, das ist ein ungeheurer Trick!“
Klingt simpel, ist es aber nicht. Wie oft eiern wir herum, wenn wir miteinander sprechen. Kommen nicht auf den Punkt, aus Sorge, der andere könnte uns missverstehen, doof finden oder gekränkt sein. Oder wir sagen erst gar nichts, sondern gehen davon aus, das dem anderen Menschen doch klar sein dürfte, was ich gerade brauche. Aber so ist es ja nicht.
Im echten Leben ist es wie bei der Großbaustelle: Bei allem Zutrauen in die Kompetenz des anderen weiß ich nicht genau, mit welchen Erfahrungen der andere Mensch heute und überhaupt unterwegs ist, mit welchem Wissensstand, Ideen, Vorstellungen und Aufträgen. Ein bisschen fremd bleibt man sich immer. Sogar sich selbst. Ich zumindest wundere mich immer mal wieder auch über mich.
Daher braucht es bei
den kleinen und großen Großbaustellen des Lebens klare Kommunikation, wenn wir
uns verständigen und verstehen wollen. So können zusammen was aufbauen, das
tragfähig ist.
Mein Mantra bei den
täglichen Fahrten durch die Baustelle an der A43 in Münster lautet neuerdings:
Alles fängt jeden Tag damit an, zu sagen, was mit einem ist. Hinzuhören, was
mit dem anderen ist. Nur so wird ne Brücke draus.