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Kirche in WDR 2 | 14.10.2024 | 05:55 Uhr
Innehalten
Heute Morgen heißt es Festhalten. Also, zumindest für mich. Denn mir ist etwas bewusst geworden, was mich eigentlich schwindelig werden lassen muss. Wir, also alle Menschen, drehen uns permanent mit der Welt um die eigene Achse. Und zwar mit einem Tempo von etwa 1000 Stundenkilometern. Jede Minute, jede Sekunde.
Das ist so schnell wie ein Passagierflugzeug fliegt. Und wir merken es gar nicht. Weil wir uns dank der Erdanziehungskraft die ganze Zeit mitdrehen.
Oder merken wir es doch? Manchmal habe ich das Gefühl. Denn es wird so vieles gefühlt immer schneller und wirrer. Das hat aber wohl andere Gründe. Denn unser Leben wird immer schneller: die Produktionsabläufe, unsere Fortbewegung, die Flut von Nachrichten und Bildern, die dauernd auf einen einprasseln.
Umso wichtiger – und das gibt mir heute Morgen Halt – sind daher Orte der Ruhe. Der inneren und äußeren Ruhe. Orte mit Bodenhaftung sozusagen. Die Natur macht es vor: Jeder Baum braucht einen festen Stand, einen festen Ort, um zu wachsen. So ist auch der Mensch. Ich kann nicht jeden Tag neu, mein Wurzelwerk verankern. Und bei Dürre, Sturm oder Regen geht das schon gar nicht.
Und da kommt die Religion ins Spiel. In der Bibel ist ein wunderbares Gebet überliefert, das genau diesen Wunsch, diese Sehnsucht nach Halt in Worte fasst: „Ich bin wie ein Baum gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht.“
Ein Satz aus dem ersten Psalm, 2.500 Jahre alt. Er zeigt: Da, wo sich das Leben immer schneller dreht, kann der Glauben, die Religion besonders hilfreich sein. Denn Religion bedeutet rückbinden, lateinisch „religere“, da kommt das Wort her. Ich verbinde mich mit Gott, mit Gebeten, Texten, mit Liedern, auch an heiligen Orten …
Religion stiftet Halt. Ich kann anhalten, innehalten, auch manches besser aushalten. Ich kann auftanken. Und Halt gibt Haltung. Religiöse Menschen können aus diesen Quellen schöpfen.
Mit Blick auf das irre Tempo unserer Tage muss man sagen: Permanente Beschleunigung verhindert sogar Wachstum. Reifen und Gedeihen brauchen nämlich Zeit, das gilt für den Menschen wie für die Natur. Religion öffnet diese Zeiträume, schenkt Halt und lässt einen innerlich wachsen – wie schnell sich die Welt auch drehen mag.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius