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Kirche in WDR 2 | 02.11.2024 | 05:55 Uhr
Älter werden
Ich werde älter – täglich. Das wird Sie jetzt wundern. Wahrscheinlich kennen Sie das von sich nicht. Mein Mann sagt immer: Das war doch das Ziel. Und damit hat er Recht. Nur: Das Alter nimmt zu und die Kraft lässt nach. Die Nerven auch. Doch kein Grund zur Klage. Wissenschaftler haben jetzt festgestellt, dass das Alter die glücklichste Phase im Leben ist. Gemeint sind nicht wirklich alte Menschen, sondern ältere. Erst die letzten zwei Jahre vor dem Tod sind unglücklich. Klingt jetzt etwas vereinfacht, aber da ist bestimmt was dran. Die Kinder sind aus dem Haus, das Eigentum ist abbezahlt, sofern überhaupt erworben, die lästige Frage nach der Berufswahl geklärt, die nach der Karriere oder einem Jobwechsel auch.
Immer häufiger treffe ich Menschen, die mich fragen: Wie lange noch? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Mein ältester Freund ist da ganz anders: Vier Jahre, drei Monate und zwei Tage. Klingt anstrengend – offensichtlich ist die Arbeit für ihn stressig.
Vielleicht will ich es auch nicht wissen. Weil: Ich habe wenig Ahnung, was ich dann wie und mit wem machen will. Meine Mutter ist früh gestorben. Ich habe kein role – model – kein Vorbild für wie das geht, wenn ich älter werde. Bei einem Seminar sollte ich mal auf einer Zeitschiene mein Leben planen. Ich hatte viele Ideen, aber ab 65 blieb mein Blatt leer.
Doch das scheint sich jetzt zu ändern. Überall begegnen mir jetzt Ältere, die top fit und aktiv sind. Meine Tanzlehrerin - ehemals Professorin für Tanz und Pina Bausch Tänzerin - hat mit 76 Jahren eine Tournee durch die USA gemacht. Ok, ganz schmerzlos ist das für sie nicht gewesen. Die Freundin einer Freundin – ehemals Sekretärin – will jetzt Sterbebegleitung machen. Sie erzählt ganz begeistert von der Ausbildung. Andere singen und tanzen, halten Vorträge an Akademien zu Themen wie Glück, Achtsamkeit oder Unsterblichkeit. Wiederum andere erfüllen sich ihren Lebenstraum, fangen an Klavier zu spielen oder Motorrad zu fahren.
Älter zu werden ist also nicht nur schrecklich. Was mich am meisten fasziniert: Jedes Alter hat seine Zeit, sein eigenes Tempo und offensichtlich auch seine eigene Kraft. Ich glaube, dass Gott uns so ausgestattet hat. Mit der nötigen Kraft, damit wir das mit dem älter werden gut hinkriegen. Aber eben auch mit dem freien Willen. Damit wir es gut gestalten können. Das stimmt mich optimistisch. So langsam füllt sich mein weißes Blatt. Ich bekomme Ideen, was ich mit 65 plus mache und das - fühlt sich gut an.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius