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Kirche in WDR 2 | 10.10.2024 | 05:55 Uhr
Meine Bank für seelische Gesundheit
In Köln gibt’s eine Parkbank, die liegt an einem ruhigen Kanal, unweit vom Melaten-Friedhof. Kastanien umsäumen das schwarze Wasser, eine kleine weiße Brücke verbindet beide Ufer. Hin und wieder ziehen Schwäne ihre Bahnen. Ich habe auf der Bank schon an die hundert Fotos gemacht: vom Kanal, der Brücke, den Bäumen: im Frühlingsgrün, in der Sommerhitze, im Herbstlaub, sogar mal im Schnee. In diesem Jahr zog eine Schwanenmutter ihre Kinder an der Bank daneben auf. Das habe ich alles mitverfolgt, immer donnerstags, kurz vor 12.
Denn auf dieser Bank sitze ich jedes Mal nach meiner Therapie. Und dann schicke ich ein, zwei Freunden einen Gruß samt Foto von meiner „Nach-Therapie-Bank“, so nenne ich die. Tatsächlich gehört dieser Moment danach für mich dazu: die Ruhe, die Gedanken sortieren – und manchmal auch die aufgewallten Gefühle. Denn so ‘ne Therapiesitzung kann richtig Arbeit sein.
Warum ich heute davon erzähle? Weil heute der internationale Tag der seelischen Gesundheit ist[1]. Statistisch erwischt es hierzulande jeden Dritten, dass er oder sie in ihrem Leben einmal in Behandlung für die eigene Psyche geht. So wie ich. So wie Sie vielleicht auch?
Hat das bei Ihnen auch so lange gebraucht, bis Sie diesen Schritt gemacht haben? Ist doch schon komisch: Wenn ich mir den Rücken arg verknackse, gehe ich doch auch zum Arzt. Aber es hat sehr lange gebraucht, bis ich mit meiner angeknacksten Psyche mal zum Therapeuten gegangen bin.
Und vielleicht könnten Sie jetzt sagen: Als Mann von Kirche – reicht da nicht ein gutes Gespräch mit Geistlichen? Heißt doch: Seel-Sorge. Den Einwand kann ich verstehen und ich bin Fan von seelsorgerischen Gesprächen. Aber: Nie hätte ich aus so einem Gespräch die Diagnose mitgenommen, die mir viel Aufschluss gegeben hat, warum ich psychisch und auch seelisch vielleicht etwas „humpeliger“ bin als andere: Erst in der Therapie wurde mir klar, dass ich ADHS habe. Und das schon mein ganzes Leben. Und mit diesem Syndrom gehen viele kleinere oder größere psychische Leiden einher. Z.B. Depressionen.
Und gerade jetzt in dieser Jahreszeit kenne ich depressive Episoden. Wenn die „alte Dame“ kommt, wie mein Therapeut diese Phasen nennt, wenn das Leben einen Grauschleier bekommt und alles nur noch schwer fällt. Mein Therapeut hat mal gesagt: „Wenn die Dame kommt, lassen Sie sie rein. Sie soll ruhig mal Platz nehmen können. Die geht dann schon wieder.“ Und das hatte mich damals ziemlich entlastet. Weil ich zuvor sehr viel Energie darauf verwendetet hatte, das nicht wahrzuhaben, dass es diese Phasen in meinem Leben gibt.
Das heißt nicht, mich gehen zu lassen. Die „alte Dame“ Depression soll nicht Hausherrin werden. Aber damit sie nicht kratzbürstig wird – um im Bild zu bleiben – hilft eine gewisse Gastfreundlichkeit. Denn das ist letztlich Freundlichkeit mit mir selbst.
Am besten ist es ja, wenn die alte Dame mit auf meiner
Nach-Therapie-Bank sitzt und Schwäne guckt. Übrigens: Experten raten: 20
Minuten im Grünen am Tag sind enorm gut für die Psyche[2].
Und daher: heute am Tag der seelischen
Gesundheit: Suchen Sie hin und wieder mal das Grüne auf. Und: Warten Sie nicht
zu lange, ein professionelles Gespräch aufzusuchen, wenn die Seele knackst.
Übrigens: Die Telefonseelsorge bietet solche Gespräche an und ist rund um die
Uhr für Sie da[3].
[1] https://www.kleiner-kalender.de/event/tag-der-seelischen-gesundheit/104712.html
[2] https://www.derstandard.at/story/2000100965546/forscher-ab-20-minuten-im-gruenen-sinkt-das-stresslevel
[3] https://www.telefonseelsorge.de/