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Kirche in WDR 2 | 21.10.2024 | 05:55 Uhr
Nah ran
Heute ist wieder Montag, und weil heute Montag ist ist das Wochenende leider auch schon wieder vorbei. Tja. Nicht schlimm. Ich freue mich auf die neue Woche. Denn ich weiß: Ich habe ein sehr privilegiertes Leben. Ich habe eine wunderbare Frau. Mein Hund bringt mich jeden Tag zum Lachen. Ich bin gerade aus einem wunderbar warmen Bett gesprungen. Der Vollautomat in der Küche hat einen duftenden warmen Kaffee in die Tasse gespült. Wenn ich gleich den Computer anmache weiß ich: Ich werde gebraucht. Ich darf arbeiten. Ich werde gleich liebe Kollegen treffen und sicher auch ein paar spannende Aufgaben zu lösen haben. Im Supermarkt kann ich mir später von 100 Joghurtbechern den Leckersten nehmen. Es gibt nichts drum herumzureden: Ich lebe ein Leben auf der Sonnenseite.
Ich kann sogar zum Arzt gehen, wenn ich krank bin. Und sogar dann, wenn ich gar nicht krank bin, aber etwas tun will, um erst gar nicht krank zu werden. Deswegen war ich vor ein paar Tagen bei einer Vorsorgeuntersuchung. Routine, was Männer eben in einem bestimmten Alter so machen sollten. Das Wartezimmer war voll. Aus dem Lautsprecher säuselte Fahrstuhlmusik. Die einen wischten versunken über ihre Handys. Andere blätterten in den herumliegenden Zeitschriften. Und wieder andere haben irgendwie angespannt auf den Boden gestarrt. Das ist mir gleich aufgefallen. Vielleicht sind sie deswegen nervös gewesen, weil sie befürchtet haben, dass der Arzt keine guten Nachrichten parat hatte? Wer weiß! Habe ich gedacht. Wie schnell das geht, dass es dein Glück nicht mehr tut. Von einem Moment auf den anderen. Nicht nur in diesem Wartezimmer irgendwo in Köln.
Da ist mir eine Geschichte eingefallen, über die ich neulich beim Blättern in der Bibel wieder mal gestolpert bin. Da ist eine Gruppe von Menschen. Sie zeigen auf einen, der teilnahmslos an der Seite sitzt. Der Mann, der da sitzt, kann nichts hören. Und weil er noch nie in seinem Leben hören konnte hat er auch nicht gut Sprechen gelernt. „Er brabbelte“ – so erzählt die Bibel. Die Menschen machen Jesus auf ihn aufmerksam. Sie ahnen: Wenn er etwas mit Gott zu tun hat, dann kann er etwas machen.
Und jetzt wird es interessant. Jesus geht zu dem Mann hin und bringt ihn zunächst ein Stück von den Menschen und ihren neugierigen Blicken fort. Dann legt er seine Finger in seine Ohren. Wie ein Ohrenarzt. Und dann, so schildert es die Bibel, berührt er die Zunge des Mannes mit Speichel. Tja. Eine vornehme Umschreibung für: einen ordentlichen Kuss mitten auf den Mund. So stelle ich mir jedenfalls die Szene vor.
Sie ist seltsam, aber auch sehr berührend. Jesus ist der, der nah herangeht, wenn es einem dreckig geht. Wenn einer krank ist, außen vor, ein Fremdling, niedergeschlagen, traurig, ausgeschlossen. Wenn einer eine schlechte Prognose bekommt. Nah ran. Näher geht es kaum.
Ich meine: Die Welt braucht dringend welche, die nah rangehen. So wie Jesus in der Geschichte. Wenn plötzlich die Nächte anbrechen, die kein Ende nehmen. Im Wartezimmer beim Arzt. In der Schule. An der Uni. Wenn ich es schaffe, will ich mitgehen. So nah, wie ich kann. Dann, wenn es nötig ist. Nicht nur an einem Montagmorgen.