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Kirche in WDR 2 | 06.11.2024 | 05:55 Uhr
Wahrscheinlichkeiten und Wahlen
Als vor 4 Jahren Joe Biden gewählt wurde, hatte ich mir doch glatt einen Sekt aufgemacht nach der spannenden Wahlnacht. So erleichtert war ich. Und so voller Hoffnung. Denn: Alles hängt mit allem zusammen in unserer großen und doch so vernetzten Welt.
Ich gestehe: Ich habe
das hier vor der Wahlnacht eingesprochen. Sie wissen jetzt also wahrscheinlich
schon mehr als ich. Aber: Egal, wie das Wahlergebnis auch aussieht - Ich bleibe
voller Hoffnung. Ich hoffe darauf, dass sich das Gute letztlich durchsetzt. Und
dass, obwohl ich in meinen 50 Lebensjahren etliche Wahlen und
Legislaturperioden erlebt habe. Dass mich auch hierzulande manche
Wahlergebnisse schockiert haben, muss ich nach diesem Herbst nicht erwähnen.
Und viele politische Entscheidungen oder auch Nicht-Entscheidungen regen mich
zutiefst auf.
Trotzdem - vielleicht ist
es eine Berufskrankheit, zumindest gehört es zu meiner Unverbesserlichkeit als
Christin: Meine Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit und Frieden bleibt.
„Es rührt mich, dass
Du da so idealistisch bist, Michaela“, hat mir kürzlich mal ein Freund gesagt –
und dann kam sein „Aber“: „Aber realistisch ist das eben nicht. Egal, wer da an
die Macht kommt, letztlich wird nie passieren, was Du Dir erhoffst.“ Das hat er
mir gesagt, als wir mal wieder knietief in politischen Debatten steckten. Und
ich weiß, er hat Recht. Es wird nie vollends so kommen, wie ich mir das
wünsche. Da könnte ich höchstpersönlich die Wahl gewinnen, Bundeskanzlerin
werden oder Bürgermeisterin hier in Nottuln. Einen „Jetzt ist es perfekt-Sekt“
werde ich nie aufmachen können. Weil Politik komplex ist. Und Demokratie
sowieso. Bei jedem Thema – und das sind ja so viele - gibt es unterschiedliche
Interessen, die abgewogen werden müssen. Und: Politik lebt von Menschen. Und
die bringen alle ihr Ego mit.
Das ist
mal mehr mal weniger ausgeprägt und gesund. Alle diese Egos haben dabei ihre
Weltsicht und ihre blinden Flecken. Wäre bei mir nicht anders.
Die Realistin in mir weiß: Perfekt geht nicht. Deshalb hoffe ich gar nicht erst darauf. Ich hoffe auf ein „immer besser“ und auf ein „so gut wie möglich“. Das hat ganz sicher mit meinem Glauben zu tun. Glauben, lieben, hoffen, darauf kommt es im Leben an, so schreibt es Paulus in einem seiner Briefe. Sehe ich auch so. Und deshalb kümmere ich mich immer wieder um alle drei. Und das so konkret wie möglich: Ich füttere meine Hoffnung. Ich sammle sehr aufmerksam Erfahrungen und Menschen, die mir Hoffnung machen und halte sie mir immer wieder vor Augen. Was ich auch sammle, um meine Hoffnung hochzuhalten, sind kluge Gedanken. Einer davon stammt von Charles Dickens, dem Schriftsteller. Er schreibt: „Das Wichtigste im Leben ist, dass man aufhört zu sagen „Ich wünschte“ und anfängt zu sagen „Ich werde“. Halte nichts für unmöglich und behandle Möglichkeiten als Wahrscheinlichkeiten.“
Mit Blick auf die
großen politischen Fragen füttere ich meine Hoffnung genau damit:
Ich halte mir vor Augen, dass es die Mehrheit
der Menschen ist, die Frieden will. Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Kann
also sein, dass diese Mehrheit sich schließlich durchsetzt. Aller Gegner zum
Trotz. Wäre doch möglich. Und wenn es möglich ist, ist es nach Charles Dickens
sogar wahrscheinlich.